Vorfahrt in die Zukunft

Neue Antriebstechnologien, Ausbau des ÖPNV: Bei der Entwicklung von Hamburg zur „Metropol-Modellregion Mobilität“ sind Unternehmen aller Verkehre beteiligt – zu Land, zu Wasser und in der Luft. Die HW präsentiert einige Zukunftsideen für nachhaltige Mobilität.
 

 Von Kerstin Kloss, 7. Juni 2023 (HW 3/2023)

„Ein Stück Science-Fiction mitten in der echten Realität“, bemerkte Hamburgs Bürgermeister Dr. Peter Tschentscher, als er im April in San Francisco ein autonomes Fahrzeug ausprobierte. 2030 sollen bis zu 10 000 fahrerlose On-Demand-Shuttles auch durch Hamburg rollen. Ein ambitioniertes Vorhaben – und eines der ersten Projekte der „Metropol-Modellregion Mobilität“, deren Aufbau in Hamburg Bundesverkehrsminister Volker Wissing und Hamburgs Senator für Verkehr und Mobilitätswende Dr. Anjes Tjarks Ende 2022 vereinbart haben.

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Mediaserver Hamburg Alla Limont
An den „switch Punkten“ des HVV können Fahrgäste auf E-Leihwagen oder ein StadtRAD umsteigen.

Doch autonome Fahrzeuge sind nur eine der vielen Ideen für eine zukunftsweisende Verkehrsgestaltung in Hamburg. Gefordert sind generell „innovative und wirtschaftlich tragfähige Mobilitätslösungen, die den Bedarfen von Menschen und Unternehmen entsprechen“, betonte Handelskammer-Hauptgeschäftsführer Dr. Malte Heyne auf dem Hamburger Mobilitätsgipfel, den die Handelskammer Anfang April gemeinsam mit der Behörde für Verkehr und Mobilitätswende (BVM) und der S-Bahn Hamburg veranstaltet hatte. Dazu gehört ein Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) ebenso wie das Fördern alternativer Antriebsformen wie Strom oder Wasserstoff.

Ausbau des ÖPNV

Die BVM setzt auf eine autoarme Innenstadt – und damit auch auf die Stärkung des ÖPNV, der derzeit massiv ausgebaut wird. Allein die Hochbahn investiert 200 Millionen Euro in diverse Projekte. Die U-Bahnlinien U2 und U4 im Hamburger Osten sollen ab 2029 im 100-Sekunden-Takt fahren, die neue U5 soll Bramfeld mit den Arenen verbinden und die U4 bis zur Horner Geest verlängert werden.

Zugleich werden Busflotten elektrifiziert, um bis 2030 einen emissionsfreien Busverkehr zu ermöglichen. Und die Verkehrsbetriebe Hamburg-Holstein GmbH hat auf ihrem Betriebshof in Bergedorf ein intelligentes Netz- und Ladeinfrastrukturmanagement für elexity-Fahrzeuge mit 100 Prozent Ökostrom eingeführt. Zur Verkehrswende trägt dabei auch die Mobilitäts-App hvv switch bei. Damit lassen sich neben S- und U-Bahntickets Fahrten mit Moia-Taxis, Leihwagen oder E-Rollern buchen.

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Flüssiggas statt Diesel und Rußpartikelfilter: Die Schiffe von Flotte Hamburg wurden umweltfreundlich umgerüstet.

Der HVV hat zudem eine Reihe von „switch Punkten“ eingerichtet, an denen Fahrgäste auf ein StadtRAD oder Leihwagen mehrerer Anbieter umsteigen und diese dort aufladen können. Anfang März wurde am Flughafen der 100. switch Punkt als größter E-Sharing-Hub Europas mit 120 Ladepunkten eröffnet. Und wer aus dem Umland pendelt, kann zum Beispiel Hamburgs erstes Parkhaus für 1000 Räder an der U-Bahnstation Kellinghusenstraße nutzen, um für den Stadtverkehr auf sein dort abgestelltes Fahrrad umzusteigen.

Neue Energie für Autos und Schiffe

Ein zentraler Bestandteil der Mobilitätswende ist der Umstieg auf E-Autos – und damit die Schaffung der nötigen Infrastruktur. Hier legt Hamburg Tempo vor, wie der Elektromobilitätsmonitor des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) vom April 2023 zeigt. Demnach verfügt die Stadt mit 59,5 Megawatt über die höchste öffentliche Ladeleistung aller deutschen Städte und Landkreise. Laut Anette Polkehn-Appel, Sprecherin von Stromnetz Hamburg, gab es am 20. April im Stadtgebiet 1568 öffentliche Ladepunkte für E-Autos. Bis 2025 peilt der Senat 2000 Ladepunkte an.

Seit alle Schiffe Gas to Liquid statt Diesel tanken, emittieren sie 10 Prozent weniger Stickoxid und 50 Prozent weniger Feinstaub.

Karsten Schönewald

Auch die Schifffahrt mit ihrem massiven CO2– und Schadstoffausstoß wird in der Mobilitätswende nicht vergessen. Seit Frühjahr 2017 sorgt eine Landstromanlage am Cruise Center Altona für emissionsfreien Betrieb zumindest während der Liegezeiten – eine Kooperation von Hamburg Energie, Aida Cruises und der Hamburg Port Authority (HPA).

Und die Hansestadt treibt die Entwicklung voran: „Die Landstromanlage am Kreuzfahrtterminal in Steinwerder wird im Herbst 2023 fertiggestellt, am Terminal HafenCity im Frühjahr 2025“, informiert HPA-Sprecherin Sinje Pangritz. Mit dem Testbetrieb für Containerschiffe wolle die HPA in den nächsten Monaten beginnen. Damit „wird Hamburg ab 2023 der erste Hafen Europas sein, der sowohl für Kreuzfahrtschiffe als auch für große Containerschiffe eine Landstromversorgung anbietet“.

Arbeitskreis Mobilität

Mit Zukunftsfragen der Mobilität wie klimafreundlichen Antriebstechnologien oder nachhaltiger Logistik beschäftigt sich auch der Handelskammer-Arbeitskreis „Mobilität“, dem unter anderem Fachleute aus Unternehmen der Verkehrs- und Logistikbranche angehören. Das zentrale Anliegen: Wie kann eine wirtschaftlich tragfähige Mobilitätswende gelingen? Dabei werden sämtliche Teilnehmende am Verkehr und die regionale und überregionale Verkehrsentwicklung berücksichtigt.

Da sich Strom als Schiffsantrieb nur eingeschränkt eignet, werden dafür die Wasserstoff-Derivate Methanol und Ammoniak favorisiert. So prüft Hapag-Lloyd derzeit Optionen für die Lieferung von Ammoniak als Bunkerkraftstoff und hat im Januar 2023 eine Absichtserklärung mit dem Hamburger Energieunternehmen Mabanaft unterzeichnet. Dieses will am Blumensand-Tanklager ab 2026 das erste deutsche Importterminal für „grünes“ Ammoniak betreiben. Bis dahin können ultragroße Dual-Fuel-Containerschiffe übergangsweise bis zu 23 Prozent CO2 mit verflüssigtem Erdgas (LNG) einsparen.

Mit der Buchungsoption „Ship Green“, bei der die Schiffe mit Biodiesel fahren, bietet Hapag-Lloyd zudem seit Anfang Mai eine klimafreundliche Option für den Transport von Standardcontainern an. Gemeinsam mit Shell entwickelt die Reederei auch die Technik, um Schiffe mit verflüssigtem Biomethan oder verflüssigtem, wasserstoffbasiertem E-Methan zu betanken.

Die HPA-Tochter Flotte Hamburg wiederum richtet ihre rund 50 Schiffe seit 2017 umweltfreundlich aus, wie Geschäftsführer Karsten Schönewald beschreibt: „Wir haben uns erst einmal um die Verminderung von Luftschadstoffen wie Feinstaub und Stickoxid gekümmert.“ Schlepper, Lotsenversetzer oder Peilschiffe wurden mit Abgasnachbehandlung ausgerüstet und auf synthetischen Kraftstoff umgestellt.

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Moia-Sammeltaxis sind fest in die Mobilitätswende einbezogen und lassen sich auch per HVV-App buchen.

„Seit alle Schiffe Gas to Liquid statt Diesel tanken, emittieren sie 10 Prozent weniger Stickoxid und 50 Prozent weniger Feinstaub“, sagt Schönewald. Als nächster Schritt ist der Betrieb mit Erneuerbaren Energien geplant. Zwei Löschboote und ein Schlickpflug sind bereits mit Plug-in-Hybrid-Antrieben Diesel/Batterie ausgestattet. Sie können zwei Stunden vollelektrisch fahren, die Batterien werden über Landstrom aufgeladen.

Umweltfreundlich fliegen

Auch die Luftfahrt muss klimafreundlicher werden. Für den Flughafen bedeutet das, perspektivisch bis zu drei Infrastrukturen gleichzeitig vorzuhalten – für gasförmigen und flüssigen Wasserstoff sowie für Treibstoff aus nichtfossilen Rohstoffen (Sustainable Aviation Fuel, SAF). Ein von Hamburg Airport initiiertes Projekt sieht vor, von 2026 an Kleinflugzeuge mit Wasserstoff zu betanken. Derweil will Airbus bis 2035 gemeinsam mit dem Zentrum für Angewandte Luftfahrtforschung ein Flüssigwasserstoff-Triebwerk im Rahmen des ZEROe-Programms entwickeln. Dem fossilen Kerosin „Jet-A1“ lassen sich künftig bis zu 50 Prozent SAF im bestehenden Flughafen-Tanklager beimischen. Ginge es nach Jan Eike Blohme-Hardegen, Leiter Umwelt beim Hamburg Airport, würde SAF „so schnell wie möglich“ genutzt – aber darüber entscheiden die Fluggesellschaften.

Bei der Mobilität am Boden konnte der Hamburg Airport seinen jährlichen CO2-Ausstoß in den vergangenen Jahren massiv senken. „Unser Fuhrpark wird aktuell über grünen Strom, Wasserstoff, Bio-Erdgas und synthetischen Diesel betrieben“, erläutert Blohme-Hardegen. Der Rest der CO2-Emissionen wird durch Zertifikate ausgeglichen und soll bis 2035 komplett eliminiert werden. Und wie es aussieht, ist auch die Hoffnung auf einen emissionsfreien Flugverkehr keine Science-Fiction mehr, sondern eine reale Perspektive.

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