
Stolze 14 552 Menschen arbeiteten 2023 in Hamburgs Werbebranche. In 1059 Betrieben sorgten sie für drei Milliarden Euro Umsatz. Die Jahre zuvor befand sich der traditionell starke deutsche Werbestandort auf Wachstumskurs. Ein Zustand, der sich 2025 geändert haben könnte, denn viele Agenturen sprechen von Herausforderungen oder gar einer Krise.

„Wir sind der Kanarienvogel in der Mine“, sagt Max Lederer, Chief Innovation Officer bei Jung von Matt. Er bezieht sich in seinem Bergbau-Beispiel auf den traditionellen Zusammenhang zwischen Wirtschaftsstimmung und der Bereitschaft, Geld für Werbung auszugeben. Ist die Stimmung schlecht, so die Regel, sparen Unternehmen am ehesten an der Werbung.
„Die weltweite politische und wirtschaftliche Lage bleibt chaotisch“, so Lederer. „Die Unsicherheit kommt aber auch daher, dass man noch nicht abschätzen kann, welcher Teil der Wertschöpfungskette sich durch Künstliche Intelligenz verändern wird.“ Die Jung-von-Matt-Gruppe beschäftigt 994 Mitarbeitende und erzielte 2024 einen Netto-Honorarumsatz von mehr als 132 Millionen Euro. Zu den größten Kunden einer der letzten unabhängigen großen Agenturen im deutschen Werbemarkt zählen unter anderem die Automarken BMW, Opel und Hyundai.
Jung von Matt ist eine von mehreren Hamburger Kult-Werbeagenturen. Ralf Heuel, Geschäftsführer Kreation bei Grabarz & Partner, erinnert sich an die Anfänge des Booms in der Hansestadt: „Als ich zu Beginn der 1990er-Jahre angefangen habe, war Hamburg als Werbestadt die klare Nummer eins in Deutschland – das Mekka der Kreativen. 1991 hat sich Jung von Matt gegründet. Es gab Springer & Jacoby, KNSK, BLB – all diese fantastischen Kreativagenturen. In Berlin war praktisch niemand. Kurz nach dem Mauerfall hatten die auch ganz andere Themen.“ Das habe sich massiv verändert. Auch in Berlin gebe es inzwischen viele großartige kreative Agenturen.

Insgesamt stagniert der deutsche Agenturmarkt aktuell – oder schrumpft sogar leicht. Der „Gesamtverband Kommunikationsagenturen GWA e. V.“ weist in seinem „Frühjahrsmonitor 2025“ einen durchschnittlichen Umsatzrückgang von 0,9 Prozent für 2024 aus.
Liane Siebenhaar ist Sprecherin der Geschäftsführung von Scholz & Friends Hamburg, wo man unter anderem für McDonald’s arbeitet. Auch sie streitet die angespannte Lage in der Branche nicht ab. Ihre Stadt sieht sie dennoch in einem wichtigen Bereich vorn: „In Hamburg sind immer noch viele Talente, die man an anderen Standorten nicht bekommt. Viele dachten, das Talent würde sich irgendwann nach Berlin verlagern. Es ist auch sehr stark geworden, aber wir sehen dort noch mehr internationale Einflüsse, und man konzentriert sich auf Social Media, Influencer Marketing und andere popkulturelle Wege. Bei uns in Hamburg bekommt man aber die besten Markenstrategen und insgesamt strategische Expertise.“
In Hamburg sind immer noch viele Talente, die man an anderen Standorten nicht bekommt.
Liane Siebenhaar
Standortunabhängig mischen die Branche derzeit rasante KI-Entwicklungen auf. Die markanteste Veränderung sieht Siebenhaar in der automatisierten Aufbereitung unterschiedlicher Werbebotschaften einer Kampagne, so genannter Assets: „Momentan hat man in manchen Kampagnen noch 400 bis 700 Assets. Das sind sämtliche Formate, die für unterschiedliche Zielgruppen und Kanäle generiert werden – Filme, Banner, Social-Media-Posts.“ Mit dieser Arbeit verdiene die Werbung derzeit noch einen gewissen Teil ihres Geldes. Genau dieser Posten werde aber durch Künstliche Intelligenz sehr schnell automatisiert. „Wir werden den Prozess maximal noch dirigieren.“
Max Lederer, Vordenker bei Jung von Matt, glaubt gar an eine noch größere Veränderung seiner Branche. „Wenn ich mit meinen Digital- und KI-Fachleuten über Werbeformen spreche, kommen wir zu dem Schluss, dass langfristig wahrscheinlich nur noch PR, Out of Home und echte Erlebnisse, die ich draußen haben kann, überleben“, berichtet er. Menschen fühlten längst eine Übersättigung im digitalen Raum, sodass sie sich nach echten Außenerfahrungen sehnen. Aber das werde keine Werbung im klassischen Sinne mehr sein.
Liane Siebenhaar hingegen glaubt nach wie vor an klassische Werbeformen – auch und gerade im digitalen KI-Zeitalter. Audio wird ihrer Ansicht nach unterschätzt. Radio lasse zwar etwas nach, aber die Bedeutung von Podcasts steige stetig an. „Video, also Film, erlebt auch eine Renaissance. Und TV ist immer noch das wichtigste Medium.“ Die beste Vorgehensweise sei es, TV, Out of Home und Social Media zu kombinieren. Damit schaffe man den größten „Impact“.
Meta-Chef Mark Zuckerberg skizzierte in einem viel beachteten Interview mit der Analyse-Website „Stratechery“ eine Zukunft des Werbemarktes ohne Kreativagenturen, Mediaplaner und Analyseberater. Sein Unternehmen möchte mit KI-Tools die komplette Werbekette automatisieren – vom Briefing bis zur Erfolgsmessung. In dieses Projekt will Zuckerberg 650 Milliarden Dollar investieren.
Auch auf die Frage, welche Werber in Zukunft noch gefragt sein werden, hat Siebenhaar eine klare Meinung: „Kreative Generalisten werden die besten Chancen haben. Früher hat man für eine Kampagne immer Art Direction und Texter kombiniert. Heute kann auch ein ,Arter‘ mithilfe von KI Texte generieren, und ein Texter kann Bilder prompten. Vielleicht hat auch ein Berater Lust, Strategien zu entwickeln. Oder ein Stratege könnte kreative Aufgaben übernehmen. Vieles ist möglich.“
Offenbar muss die Werbebranche im KI-Zeitalter auch in ihrer Selbstorganisation sehr kreativ werden, um ihren Bestand zu sichern. „Originalität und Kreativität wird auch in naher und in mittlerer Zukunft keine Maschine können“, ist Max Lederer überzeugt. „All das, was ‚Delivery‘ betrifft, wo wir also Geld für Stunden abrechnen, in denen etwas hergestellt wird, wird massiv durch KI automatisiert werden.“
Der Chief Innovation Officer von Jung von Matt blickt trotz allem selbstbewusst nach vorn. „Ich appelliere daran, auch als Hamburger Werbebranche stolz auf unsere Leistungen zu sein“, berichtet er. „Denn wir setzen große, weltweit ausgezeichnete Kampagnen um. Wir sollten uns unsere Narrative nicht von den PR-Abteilungen von Microsoft und anderen diktieren lassen. Wir beraten, entwerfen und organisieren seit Jahrzehnten hochkomplexe Kommunikationsprozesse. Wir dürfen uns nicht verunsichern und von Mark Zuckerberg erzählen lassen, dass er bald die gesamte Werbung selbst macht.“
