Trotz Pandemie konnte die HHLA 2021 ihren Konzernumsatz deutlich erhöhen. Welchen Beitrag hat der Hamburger Hafen daran?
Angela Titzrath: Für uns als europäisches, börsennotiertes Logistikunternehmen ist der Hamburger Hafen nach wie vor unser wichtigster Standort. Der Containerumschlag unserer drei Hamburger Terminals stieg im vergangenen Jahr trotz Corona um über zwei Prozent. Es geht in der modernen Logistik darum, den Kunden ein breites Angebot an Leistungen anzubieten. Wir können das, weil wir Containerumschlag und Containertransport verbinden – das ist unser großer Wettbewerbsvorteil. Mit unserem Intermodalbereich können wir aus Hamburg heraus in ganz Mittel- und Osteuropa signifikante Ergebnisbeiträge liefern. Allein unsere Bahntochter Metrans ist im letzten Jahr zweistellig gewachsen – auch dabei war der Hamburger Hafen von großer Bedeutung.
Störungen in den globalen Lieferketten bedeuten besondere Herausforderungen. Wie gelingt es, dass die HHLA-Terminals als Hubs für den Hinterlandverkehr zuverlässig funktionieren?
Als Logistiker lernen wir jeden Tag neu, mit Volatilität zu arbeiten. Seit 2020 ist es eher die Ausnahme, dass ein Schiff pünktlich kommt. Der Abschluss der Fahrrinnenanpassung der Elbe ist eine wichtige Voraussetzung, dass die Schiffe erstens mehr Ladung transportieren können und zweitens die An- und Abfahrten planbarer sind. In Hamburg schauen wir gerne auf die großen Schiffe, aber die tatsächliche logistische Leistung besteht darin, diese zu be- und entladen sowie den Zu- und Ablauf der Container ins Hinterland zu managen. Bei einem 21.000-TEU-Schiff ist die reibungslose An- und Abfahrt von 49 Zügen und 3600 Lkw zu steuern. Wir haben vor drei Jahren ein Slot-Buchungsverfahren eingeführt, um für Lkw-Transporte im Hafen eine bessere Planbarkeit zu erreichen. Solche Mengen können Sie, zumal bei stark verspäteten Schiffen, nur zuverlässig verarbeiten, wenn alle Teilnehmer in der Lieferkette kooperieren.
Der neue Hafenentwicklungsplan soll bis Ende des Jahres fertiggestellt werden. Was erhoffen Sie sich?
Ich finde, die Handelskammer hat mit ihrer Forderung einen sehr guten Punkt gesetzt, die Rahmenbedingungen in den europäischen Häfen anzugleichen beziehungsweise wettbewerbsverzerrende Regelungen auszuräumen, insbesondere auf der Kostenseite. Der Hamburger Hafen ist hochpreisig. Wir müssen daher sicherstellen, dass die Gesamtkosten – wobei die Hafenterminalkosten nur einen geringen Teil ausmachen – nicht weiter steigen, sondern wir durch Effizienz und Kostenoptimierung auch künftig den Kunden ein wettbewerbsfähiges Angebot machen können. Die industrielle Wertschöpfung sollte durch den Ausbau von Flächen gestärkt werden. Denn ein Hafen lebt auch von der Ansiedlung von Industrie. Und es sollten die Hafenbahn und die Bahnanbindungen generell weiter ausgebaut werden.
Mit ihrer Forderung zum Hafenentwicklungsplan hat die Handelskammer einen sehr guten Punkt gesetzt.
Zum Jahreswechsel hat Metrans das Logistikzentrum CL Europort im polnischen Malaszewicze übernommen und eine strategische Partnerschaft mit dem Eisenbahnverkehrsunternehmen Eurotrans vereinbart. Welche Vorteile bietet das?
Es ist im Moment ungewiss, wie lange der Krieg dauert und wie sich die Sanktionen auf die Verkehre entlang der Seidenstraße auswirken. Aber mit unserer Übernahme in Malaszewicze sind wir strategisch an einem wichtigen Knotenpunkt für den Güterverkehr innerhalb Ost- und Mitteleuropas sowie für die euro-asiatischen Transportströme positioniert. Deswegen werden wir von dem Hub-Terminal in Malaszewicze künftig profitieren. Wir können kurz- und mittelfristig Lösungen für die Lagerung von Containern schaffen, die von unseren Kunden auf der Seidenstraße transportiert werden. Malaszewicze kann aber auch beim Verteilen von lokalen Mengen in Ostpolen eine Rolle spielen. Strategisch ist der Standort also wertvoll. Im Moment suchen die Kunden allerdings aufgrund des ungewissen Kriegsverlaufs nach Alternativrouten.
Welche sind das?
Unsere Kunden sind eher vorsichtig. Es gibt eine leichte Verlagerung auf den Seeweg. Metrans hat allerdings für alle wichtigen EU-Häfen entsprechende Lösungen. Wir können unsere Kapazitäten sehr gut skalieren und erhöhen. Zudem hat Metrans Alternativrouten zur Seidenstraße aufgebaut – über China, Kasachstan, das Kaspische Meer, Aserbaidschan, Georgien, Türkei. Es ist immer die Frage, wie schnell die Ware auf dem Seeweg oder auf Alternativrouten transportiert werden kann. Allerdings kann man Logistikströme nicht von einem Tag auf den anderen umstellen.
Wie wirkt sich der Ukraine-Krieg auf das HHLA-Geschäft in Hamburg aus?
Dieser Krieg ist eine große humanitäre Krise und Tragödie, die wir gemeinsam erleben. Unsere Gedanken sind deshalb bei unseren 480 Mitarbeitenden und ihren Angehörigen in Odessa, wo die HHLA seit 21 Jahren ein Terminal erfolgreich betrieben hat. Die Schließung des Hafens beeinträchtigt aber nicht unser Geschäft hier in Hamburg und ist auch nicht existenzgefährdend für die HHLA insgesamt. Das Terminal in Odessa war wichtig für die Versorgung der Ukraine, aber die Umsatzzahlen bewegten sich in einem niedrigen einstelligen Millionenbereich.
Welche Folgen haben die Russland-Sanktionen für die HHLA in Hamburg?
Seit der Krim-Annexion 2014 sind die Russland-Verkehre in den Nordrange-Häfen um circa 7 bis 8 Prozent zurückgegangen. In Hamburg gab es noch Feeder-Verkehre, aber auch nur auf einem niedrigen Niveau. Die Auswirkungen der Sanktionen lassen sich im Moment noch nicht vollständig greifen. Wir unterstützen vollumfänglich die verhängten Sanktionen gegen Russland. Hier in Hamburg werden nur die Container umgeschlagen, deren Weitertransport gesichert ist und deren Inhalt nicht unter die Sanktionen fällt, zum Beispiel Waren für humanitäre Zwecke.
Erwarten Sie für den Hamburger Hafen durch den Krieg noch schlimmere Folgen als durch die Pandemie?
Die Pandemie ist nicht vorbei. Wir müssen uns auf weitere Wellen einstellen, wie aktuell etwa in China. Niemand weiß, ob die strikte Null-Covid-Politik der Behörden dort auch die Häfen treffen wird. Sollten Häfen geschlossen werden, dann kann es zu weiteren Verzögerungen beim Containertransport kommen. Der Krieg kommt erschwerend hinzu, wobei wir im Moment nicht sagen können, inwieweit die ohnehin gestörten Lieferketten noch stärker unter Druck kommen. Selbst wenn sich die Lage in absehbarer Zeit wohl nicht beruhigen wird, so halten wir die Situation hier in Hamburg grundsätzlich für beherrschbar. Intensiver müssen wir uns mit den die Auswirkungen auf den Energiemarkt und die Versorgungssicherheit bei Rohstoffen beschäftigen.
Der HHLA Container Terminal Altenwerder (CTA) ist die weltweit erste zertifizierte klimaneutrale Umschlaganlage für Container. Lassen sich Erfahrungen übertragen und weiterentwickeln?
Wir können die Lernkurven im Verbund sehr schnell übertragen – und wir tun das bereits, wenn ich an unsere Unternehmungen in Triest in Italien oder in Tallinn in Estland denke. Beim Thema Strom haben wir am CTA fast alles, was möglich ist, elektrifiziert. Selbst die Stromtankstellen haben wir entwickelt und gebaut, weil es so etwas für die Größe unserer Geräte bis dahin nicht gab. Der nächste Schritt ist ein Innovationscluster für die Erprobung von Antrieben mit Wasserstoff-Brennstoffzellen im Bereich des Hafenumschlags. Dafür haben wir vor anderthalb Jahren begonnen, eine Schwergutlogistik-Teststation zu entwickeln.
Wie konkret sind die Pläne für Lagerung, Umschlag und Transport von Wasserstoff?
Sofern der entsprechende Förderbescheid vorliegt, werden wir auf dem HHLA-Containerterminal Tollerort einen Clean Port Logistics Cluster entwickeln. Gerätehersteller, Hafenlogistikunternehmen und wissenschaftliche Partner werden dabei mit Produzenten von erneuerbarem Wasserstoff, Software-Unternehmen und Betreibern von Tankstellen zusammenarbeiten. Das wird weltweit einzigartig sein und bedeutet einen großen Schritt für die Weiterentwicklung eines Hafens. Es geht um industrielle Lösungen im Bereich von Wasserstofferzeugung und der damit verbundenen Dekarbonisierung der Logistik rund um die Brennstoffzelle. Dies in einem dem Wettbewerb angemessenen Tempo umzusetzen, darin liegt die Herausforderung für uns.
Der Abschluss der Fahrrinnenanpassung der Elbe ist eine wichtige Voraussetzung, dass die Schiffe erstens mehr Ladung transportieren können und zweitens die An- und Abfahrten planbarer sind.
Parallel treiben Sie die Digitalisierung voran. Beim ITS World Congress 2021 hat die HHLA autonome Hub-to-Hub-Verkehre vorgestellt. Wann könnte das Realität werden?
Hub-to-Hub heißt zum Beispiel, dass ein Lkw von einer Produktionsstätte in Hannover oder in Wolfsburg mit Gütern beladen vollkommen selbstständig bis zum Hamburger Hafen fährt und dort bis an den Ort, wo er seinen Container ablädt oder einen neuen aufnimmt. Das entsprechende Verfahren haben wir zusammen mit MAN für unsere Anlagen entwickelt und erfolgreich in der Praxis getestet. Jetzt braucht es noch einen rechtlichen Rahmen. Wenn der geschaffen wurde, dann können wir sofort loslegen.
Für Ihre berufliche Lebensleistung haben Sie 2020 den Gleichstellungspreis „Managerin des Jahres“ erhalten. Was bedeutet Ihnen die Auszeichnung?
Über diese Ehrung habe ich mich sehr gefreut. Sie ist ein sichtbares Zeichen, dass kluge, engagierte Frauen überall erfolgreich sein können. Es muss noch selbstverständlicher werden, dass weibliche Führungskräfte genauso dazu befähigt sind, Unternehmen zu führen und weiterzuentwickeln wie ihre männlichen Kollegen. Ich bin jetzt seit mehr als fünf Jahren CEO der HHLA, einem börsennotierten Konzern. In dieser Zeit hat der Wert des Unternehmens um Hunderte Millionen Euro zugenommen. Das Thema Männerdomäne ist eher eine historische Überlieferung aus dem letzten Jahrhundert. Heute zählt das „diverse“ Wir.
ANGELA TITZRATH
ist seit Januar 2017 CEO der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA). Zuvor hatte die 55-Jährige Top-Positionen bei Daimler und der Deutschen Post.
Die HHLA betreibt Seehafenterminals in Hamburg, Odessa (Ukraine), Tallinn (Estland) und Triest (Italien). Hinzu kommt ein dichtes Hinterlandnetz bis Mittel- und Osteuropa. Das Umschlagvolumen der drei Hamburger Containerterminals verbesserte sich 2021 im Vorjahresvergleich um 2,2 Prozent auf 6,33 Millionen TEU. Der Konzernumsatz erreichte 1,47 Milliarden Euro (plus 12,7 Prozent), das Betriebsergebnis 228,2 Millionen Euro (plus 84,7 Prozent).