Wirtschaften in einer komplexeren Welt

Der „Hamburger Außenwirtschaftstag“ diskutierte am 1. Juli den Umgang mit Risiken in einer Welt geopolitischer Spannungen und wachsender Anforderungen an Compliance und Nachhaltigkeitsregulierung.
Ulrich Perrey
Stephan Schnabel, Vizepräses der Handelskammer, begrüßte die Teilnehmenden des 1. Hamburger Außenwirtschaftstags.

Von Eric Leimann, 2. Juli 2024

„Wir Unternehmer und speziell die Außenhändler betrachten die Welt grundsätzlich mit Zuversicht“ sagte Stephan Schnabel, Vizepräses der Handelskammer Hamburg, zur Begrüßung der Teilnehmenden des Hamburger Außenwirtschaftstags 2024. Doch dann folgte die Ernüchterung: „Dies ist nicht immer so einfach. Denn die Welt und ihre Rahmenbedingungen haben sich in den letzten Jahren grundlegend verändert.“

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Melanie Leonhard (Senatorin für Wirtschaft und Innovation), Dr. Malte Heyne  (Hauptgeschäftsführer der Handelskammer Hamburg), Dr. Hans Fabian Kruse (Präsident des AGA Unternehmensverbandes, v. li. n. r.) 

Prof. Joachim Krause vom Kieler Institut für Sicherheitspolitik brachte es eindrücklich auf den Punkt: Geopolitische Risiken müssten heute von Unternehmen aller Größen in ihre geschäftsstrategischen Entscheidungen eingespeist werden, weil die Welt wie seit Jahrzehnten nicht mehr von geopolitischen Spannungen und Konflikten geprägt sei. Darüber herrschte Einigkeit im Saal. Wie aber damit umgehen? „Diversifikation, Resilienz und die Implementation von Risikobewusstsein und -management über alle Unternehmensbereiche hinweg“ – das ist die Strategie des Familienunternehmens Werner Wirth GmbH und der Rat, den dessen CEO und Vorstand des Landesverbands der Familienunternehmer Sven Höppner den Teilnehmenden mitgab.

Mit der Rückkehr der Geopolitik und den Herausforderungen durch den immer stärker spürbaren Klimawandel gehen auch wachsende Compliance-Anforderungen beispielsweise in der Exportkontrolle, insbesondere aber im Kontext von Lieferkettensorgfaltspflichten und Nachhaltigkeitsanforderungen in Deutschland und der EU einher. Um sie zu verstehen und Lösungsansätze aufzuzeigen, lud die Handelskammer zu einem neuen jährlichen Netzwerk-Format ein, das übergreifende Themen und Herausforderungen für Unternehmen im Auslandsgeschäft am Standort Hamburg beleuchten und das Voneinander-Lernen stärken soll.

Ein integriertes Compliance-System, das sowohl geopolitische als auch außenwirtschaftsrechtliche und Nachhaltigkeitsrisiken umfasst, ist aus Sicht der Experten Prof. Bartosz Makowiczs von der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) und Ingrun Retzlaff, Expertin für Exportkontrolle bei Accenture, unerlässlich, um sowohl strafrechtliche Risiken für die Geschäftsführung als auch Reputationsrisiken für das Unternehmen zu vermeiden.

„Ein Wust von Bürokratie“

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150 Firmen nahmen am Außenwirtschaftstag teil. Auf der Bühne: Ingrun Retzlaff, Export Control Officer der umlaut company.

Kontrovers diskutiert wurde die EU Richtlinie zu unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten (CSDDD) in einer Panel-Diskussion mit Wirtschaftsanwalt Lothar Harings, der Professorin für Wirtschaftsethik Sarah Jastram, Unternehmer Tom Pfannenschmidt und Michael Arretz vom Verband der Fertigwarenimporteure. „Die kleinen Unternehmen leiden unter einem Wust von Bürokratie, der Aufwand steigt exponentiell, je mehr Stufen der Wertschöpfung in die Betrachtung einbezogen werden müssen“, berichtet der Hamburger Unternehmer Tom Pfannenschmidt von der K.-W. Pfannenschmidt GmbH, die natürliche Rohstoffe wie Vitamine und Pflanzenextrakte herstellt, konsterniert.

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Als Beispiel nannte er das lediglich aus vier Bestandteilen zusammengesetzte Vitamin C, dessen Herstellung seine Firma auf eine elfstufige Lieferkette zurückverfolgen und belegen müsse. Ein Aufwand, der sein kleines Unternehmen selbst bei einem so einfachen Produkt überfordere, sobald die gesamte Lieferkette betrachtet werden müsse.

Geradezu hitzig wurde die Diskussion bei der Frage, ob eine Aussetzung des deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) bis zur Umsetzung der EU-Richtlinie sinnvoll wäre, wie sie unlängst von Wirtschaftsminister Dr. Robert Habeck vorgeschlagen wurde. Während Nachhaltigkeits-Experten den Vorschlag ablehnen, weil er im Gang befindliche Veränderungsprozesse in Unternehmen torpediere, erscheint manchen vom Papierwust überforderten Außenhändler die Idee reizvoll. Es war eines von mehreren Beispielen für die neue Komplexität des global vernetzten Handels, zu deren Verständnis der Hamburger Außenwirtschaftstag 2024 beitragen wollte.

Ein besonderes Highlight des Termins war die Anwesenheit von viel Handelsexpertise aus aller Welt. Im Format „In 60 Minuten – 6 Kontinente“ stellten Speeddating-artig 13 Vertreterinnen und Vertreter der Außenhandelskammern und Hamburg-Vertretungen ihre Länder und Märkte vor. Sie kamen aus Polen, der Ukraine, dem Vereinigten Königreich, Marokko, Südafrika, den VAE-Staaten und Saudi-Arabien, Indien, China, Australien, Brasilien, den USA und Kanada. Neben ihren streng getimten Vier-Minuten-Kurzvorträgen gab es die Möglichkeit zu vertiefenden Beratungs-Einzelgesprächen, die sich durch den gesamten Tag zogen.

Am Ende waren sich alle einig: In einer Welt, die man versteht – sowohl in ihren Risiken wie auch in ihren Chancen – lässt es sich nicht nur besser leben, sondern auch erfolgreicher wirtschaften. Dass man dafür aber Netzwerke und Hilfe durch international kundige Fachleute braucht – auch das wurde am 1. Juli in der Handelskammer Hamburg mal wieder deutlich.

Strategiepapier Außenwirtschaft

Zur Frage, was die globalen Herausforderungen vor allem für Hamburger Unternehmen bedeutet und wie man sich in diesem Szenario zukunftsorientiert aufstellen kann, veröffentlichte die Handelskammer Ende vergangenen Jahres ein Positionspapier. Es kann hier abgerufen werden.

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