Produktion im Krisenmodus

Energienotstand und Lieferkettenprobleme machen Hamburger Industrieunternehmen zu schaffen. Mit flexiblen Maßnahmen wollen sie durch den Winter kommen.

Als Familienunternehmen schneller unabhängig vom russischen Gas zu sein, als es Robert Habeck für ganz Deutschland gelingt – das ist das Ziel von Arnold Mergell, Geschäftsführer von HOBUM Oleochemicals in Harburg. Während der Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz weiter händeringend nach Alternativen sucht, will der Betrieb ab Ende des Jahres komplett ohne Gas arbeiten – und investierte teures Geld in eine Alternative.

Tatsächlich ist die Energielage für viele produzierende Betriebe dramatisch, Gasknappheit und steigende Strompreise wirken sich am Industriestandort Hamburg massiv aus. Einige Unternehmen drosseln die Produktion; andere planen Worst-Case-Aktivitäten wie Lufthansa Technik: Hier sieht ein Maßnahmenplan für den Winter unter anderem vor, das auf der Lufthansa-Basis installierte Blockkraftwerk zur Stromerzeugung notfalls abzuschalten.

Anfang September ergab eine Blitzumfrage der Handelskammer Hamburg zur Energiesituation, dass 63 Prozent der Unternehmen im produzierenden Gewerbe ihre Existenz gefährdet sehen. 90 Prozent nannten zu hohe Stromkosten als reale Gefahr für ihre Geschäftstätigkeit; 70 Prozent führten zu teures und 20 Prozent fehlendes Gas als Risiko an.

Teurer Umbau: Heizöl statt Gas

Auch HOBUM-Chef Mergell hatte im Frühjahr „große Sorge, dass wir kein Gas mehr bekommen“. Bislang war der Energieträger mit einem Anteil von 90 Prozent für das Unternehmen unentbehrlich, um biobasierte Produkte auf Basis ungesättigter Pflanzenöle herzustellen. Statt Maßnahmen der Bundesregierung abzuwarten, änderte der Geschäftsführer entschlossen seine Strategie und setzt künftig auf sogenannte Zweistoffbrenner. Damit können die beiden Dampfkessel in der Werkshalle den für die Produktion nötigen Hochdruckdampf alternativ auch mit Heizöl erzeugen. Denn günstige Langzeitverträge für Gas laufen aus: Weitere Einkäufe werden viel teurer.

Mergell sieht seine Firma durch die zusätzliche, aus eigener Kraft eingerichtete Energieoption gut dafür aufgestellt, „einem aufkommenden Preis- und Versorgungsproblem zu begegnen“. Für diese Sicherheit musste der kleine Mittelständler mit 50 Beschäftigten allerdings „einen mittleren sechsstelligen Betrag“ investieren: „Für uns ist ein großer Teil des Ergebnisses weg.“

Notlösung Öl-Heizgebläse

Beim Elektrotechnikhersteller Pfannenberg läuft die Produktion zwar schon immer ohne Gas – dieses „fließt aber maßgeblich in die Heizung“, wie Dr. Tobias Merl, CEO und Vorsitzender der Geschäftsleitung, berichtet. Für die 300 Mitarbeitenden in Hamburg-Allermöhe gibt es ein modulares Konzept, mit dem „wir im schlimmsten Fall bis zu 100 Prozent unserer Energie aus Gas einsparen könnten“, sagt er.

Dazu gehört, dass Temperaturen abgesenkt und Hallentore im Winter nicht geöffnet werden können, damit keine Wärme entweicht. Und eine Worst-Case-Maßnahme: „Wir haben dieselbetriebene Öl-Heizgebläse beschafft.“ Für Merl ist das ein Tabubruch: „Das muss man sich mal vorstellen: Wir wollen unsere Energie langfristig komplett mit Photovoltaik generieren und müssen jetzt womöglich Festzeltheizungen aufstellen.“

Am Standort Hamburg produziert Pfannenberg innovative Klimatisierungs- und Signaltechnologien für die Industrie – etwa Heizungen, Kühlgeräte oder Signalgeber. Diese bieten deutliche Energieeinsparungen und Leistungsvorteile gegenüber herkömmlichen Apparaturen. Die Maschinenbereiche in der Produktion laufen mit Strom, und auch hier ist kein Ende der Preisspirale in Sicht.

Merl stellt klar: „Wir werden diese Energiekosten an unsere Kunden weitergeben müssen.“ Er ist zuversichtlich, dass gelingt, was bis vor Kurzem unvorstellbar war: „Die gesamte Industrie ist sehr offen, Kostensteigerungen selbst in bestehenden Verträgen nachzuverhandeln.“

Drosselung der Produktion

In dieser komfortablen Lage sind aber längst nicht alle Hamburger Industrieunternehmen, wie das Beispiel des Aluminiumproduzenten TRIMET zeigt. Aluminium wird in einem elektrochemischen Prozess gewonnen, der Strom als Rohstoff einsetzt. „Mit den derzeitigen Strompreisen können wir nicht annähernd kostendeckend produzieren. Wir haben deshalb die Primäraluminium-Produktion in Hamburg und an unseren anderen Hüttenstandorten um rund 40 Prozent gedrosselt“, berichtet Marco Alken, Werksleiter in Hamburg-Altenwerder. Gäbe es keine bestehenden Strompreissicherungen mehr, „müssten wir die Produktion vollständig abschalten“.

Und TRIMET ist nicht der einzige Betrieb in dieser Lage. Den Hauptgeschäftsführer der Handelskammer Hamburg, Dr. Malte Heyne, treibt die Sorge um, dass viele Industrieunternehmen „ihre Produktion nicht wieder hochfahren können“. Das bedeute nicht nur den Verlust von Arbeitsplätzen. Eine Produktionsverlagerung aufgrund nicht wettbewerbsfähiger Energiepreise an weniger klimafreundliche Produktionsstandorte sei „ein Bärendienst der deutschen Energiepolitik für den Klimaschutz“, meint er. Dabei nimmt die Industrie in der Hansestadt vielfach eine Vorreiterfunktion in diesem Bereich ein – wie Pfannenberg oder Lufthansa Technik mit seinem Flüssigwasserstoff-Reallabor für CO2-neutrale Flugzeuge der Zukunft.

Lieferzeiten von 60 Wochen

Doch nicht nur die Energiekrise bereitet der Industrie Probleme: Seit Corona sind die internationalen Logistikketten gestört, Seecontainer aus Asien kommen nicht rechtzeitig an. Bei Pfannenberg haben sich die Lieferzeiten von Komponenten teilweise von vier auf 60 Wochen verlängert. Laut Merl hat das Unternehmen seinen Lagerbestand deshalb seit 2021 verdoppelt und kann Teile für ein Jahr vorhalten.

Trotzdem muss der Mittelständler flexibel Alternativen für technische Produkte finden: „Wenn ein Mikrochip fehlt und man das an dem Tag erfährt, an dem er eigentlich geliefert werden sollte, beschaffen wir per Luftfracht Alternativen und passen unser Produktdesign inklusive aller Zulassungstests innerhalb weniger Tage an.“

Pfannenberg schaffe es, durch diese Flexibilität und den Mehraufwand viele Herausforderungen abzufangen, aber für das Personal sei die psychologische Belastung enorm. Damit das Unternehmen alle Beschäftigten und deren Kaufkraft trotz galoppierender Inflation erhalten kann, würde sich Merl „Möglichkeiten für steuerbefreite Einmalzahlungen an Mitarbeiter wie unter Corona-Bedingungen“ wünschen.

Auch HOBUM musste mit Lieferschwierigkeiten kämpfen, schließlich bezieht das Chemiewerk den wichtigen Rohstoff Sonnenblumenöl größtenteils aus der Ukraine. Kriegsbedingt wurden bis zu 40 Prozent durch Raps- und Sojaöl ersetzt, und inzwischen sieht Mergell „wieder eine gute Versorgung“. Im Industriesektor generell geht er angesichts der unsicheren Beschaffungs- und Energiesituation von einer Konsolidierung aus. „Leider könnte auch das Energie sparen“, sagt der Unternehmer mit Blick auf eine wahrscheinliche Winterrezession.

KERSTIN KLOSS

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Das Hamburger Aurubis-Werk zählt zu den energieintensivsten Unternehmen der Hansestadt, kann aber ohne jede Einschränkung produzieren. Wie das klappt, erklärt CEO Ronald Harings im HW-Interview.

 

Energiekosten senken

Industrieunternehmen können schon mit kleinen Maßnahmen Energie sparen. So lässt sich in Produktionshallen durch LED-Leuchten mit guter Lichtlenkung bis zu 80 Prozent Strom einsparen. Und elastische Dichtungsbänder, bewegliche Dichtprofile und Bürstendichtungen für Türunterkanten halten bei Türen zu unbeheizten Bereichen die Kälte ab. Für eine kostenlose Einstiegsberatung zu Energiethemen sind die HK-Umweltberater telefonisch erreichbar unter 040 36138-979.

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