PRO
Ja, die hohen Stromkosten sind ein Standortnachteil
Roland Harings (60), CEO Aurubis AG
Die hohen Stromkosten in Deutschland sind zum klaren Standortnachteil geworden, vor allem im Vergleich mit China und den USA oder direkten Nachbarn wie Frankreich. Damit steht Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit auf dem Spiel. Die hohen Preise für Energie belasten besonders die energieintensive Metallbranche. Das ist kontraproduktiv, denn Metalle wie Kupfer, Aluminium und Nickel stellen eine wichtige Basis für die grüne Transformation dar.
Die Wirtschaft steht vor einer der größten Herausforderungen seit der industriellen Revolution: das Dekarbonisieren ihrer Prozesse. Aurubis investiert massiv in eine klimaneutrale Produktion, die wir deutlich vor 2050 erreichen wollen. Wir bereiten uns auf den Einsatz von Wasserstoff vor und elektrifizieren weiter unsere Produktion. Um als Industrie erfolgreich zu sein, braucht es aber vor allem eines: wettbewerbsfähigen Strom – langfristig, verlässlich und CO2-arm. Die Bundesregierung verspricht, dass es zu Beginn der nächsten Dekade ausreichend preiswerten Strom aus erneuerbarer Erzeugung geben wird. Jedoch ist der Weg dahin für die Industrie, die im internationalen Wettbewerb steht, zu lang.
Wir brauchen jetzt eine klare Perspektive und einen niedrigen Strompreis für die Industrie. Er muss die Brücke schlagen in die erneuerbare Energiezukunft – dies ist auch ohne hohe Subventionen und durch das Reaktivieren von Steinkohlekraftwerken in Verbindung mit dem Aufbau von CCS (Carbon Capture and Storage) sogar CO2-arm möglich. So lässt sich schnell und unbürokratisch eine wettbewerbsfähige und verlässliche Stromversorgung erreichen.
Lässt der Staat wichtige Branchen im Stich, sieht es für die noch starke Industrielandschaft in Deutschland schlecht aus. Daran hängen Arbeitsplätze, Steuereinnahmen und letztlich Wohlstand und sozialer Frieden. Nur mit einem sowohl kurzfristig als auch dauerhaft deutlich niedrigeren Industriestrompreis kann Deutschland weltweit zum Vorreiter in der nachhaltigen Produktion werden.
KONTRA
Nein, das erscheint kaum rechtfertigbar
Prof. Dr. Michael Berlemann (55), Wissenschaftlicher Direktor HWWI
Der derzeit diskutierte, verbilligte Industriestrompreis soll helfen zu verhindern, dass energieintensiv produzierende Unternehmen aus Deutschland abwandern. Tatsächlich erleiden die deutschen Unternehmen im internationalen Wettbewerb durch die Folgen der CO2-Bepreisung einen Nachteil. Allerdings erhalten die stromintensiv produzierenden Unternehmen bereits derzeit knapp drei Milliarden Euro an Beihilfen, mit denen dieser Nachteil durch die Politik beeinflusster Preise ausgeglichen werden soll. Eine noch hierüber hinaus gehende Subventionierung in der Form eines Industriestrompreises erscheint kaum rechtfertigbar.
Jedes Unternehmen ist spezifischen Risiken ausgesetzt, dazu gehören auch Risiken aus ungünstigen Preisentwicklungen von Energie oder Rohstoffen. Steigende Preise senden das Signal, mit den entsprechenden Gütern (hier Energie) besonders sparsam umzugehen und Effizienzsteigerungspotenziale zu nutzen. Diese Preissignale gerade bei energieintensiv produzierenden Großunternehmen auszusetzen, also bei denen, die die größten Einsparpotenziale haben, erscheint widersinnig.
Es ist in einer Marktwirtschaft auch nicht zu rechtfertigen, warum spezifische Risiken einzelner Branchen über Subventionen zu Lasten anderer Branchen abgesichert werden sollen. Man wird auch nicht die holzverarbeitende Industrie aus Steuermitteln subventionieren wollen, nur weil die Holzpreise stark anstiegen.
Es ist vor allem Aufgabe der Unternehmen selbst, mit solchen Geschäftsrisiken umzugehen. Das gilt auch und gerade für große Industrieunternehmen. Subventionen eignen sich grundsätzlich nicht, dauerhaft die Standortbedingungen zu verbessern. Die Mittel würden besser zum Ausbau Erneuerbarer Energien eingesetzt. Dies käme über sinkende Strompreise allen Unternehmen dauerhaft zugute.
Im Gesamtinteresse der Hamburger Wirtschaft setzt sich die Handelskammer für eine bezahlbare und chancenorientierte Transformation hin zur Klimaneutralität der Hansestadt bis 2040 ein. Im Kontext der EU-weiten Strategie zur Reduktion aktueller Abhängigkeiten bei strategischen Ressourcen entsteht allerdings ein Spannungsfeld zwischen massiv steigenden Substitutionskosten und der Vermeidung von Carbon Leakage durch Deindustrialisierung. In der Debatte um notwendige Ausgleichsmaßnahmen wie etwa einen temporären Transformationsstrompreis plädiert die Handelskammer für marktorientierte Lösungen, die ohne Lasten für gegebenenfalls nichtsubventionierte Unternehmen erfolgen. (rn)