Chancen in der Ukraine jetzt nutzen

Seit 900 Tagen tobt in der Ukraine der russische Angriffskrieg. Ob und warum sich Investitionen in ihre Wirtschaft dennoch lohnen, diskutierte jetzt ein Wirtschaftsforum in der Handelskammer.
Kati Jurischka
Beim „Wirtschaftsforum Ukraine“ hisste die Handelskammer die ukrainische Flagge

Von Jan Freitag, 4. September 2024

In weiten Teilen von Politik und Wirtschaft herrscht in einem Punkt Einigkeit: Der Wiederaufbau der Ukraine kann nicht bis zum Kriegsende warten. Die Handelskammer lud daher am Dienstag in Zusammenarbeit mit dem ukrainischen Generalkonsulat zum „Wirtschaftsforum Ukraine“ ein. Vor rund 70 Gästen wurde unter anderem darüber diskutiert, wie inmitten laufender Kampfhandlungen die Infrastruktur des gebeutelten Landes wieder instandgesetzt werden kann.

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Kati Jurischka
Finanzsenator Dr. Andreas Dressel, Dr. Iryna Tybinka, Generalkonsulin der Ukraine in Hamburg, und Handelskammer-Hauptgeschäftsführer Dr. Malte Heyne (v. li.)

Zur Klärung dieser Frage begrüßte Handelskammer-Hauptgeschäftsführer Dr. Malte Heyne knapp drei Monate nach der Berliner „Ukraine Recovery Conference“ lokale Prominenz aus Unternehmen, Politik und Diplomatie. Trotz anhaltender Bedrohung durch den Aggressor Russland dominierte im Saal während der ganzen Zeit ein hoffnungsfrohes Wort: Chancen.

Schon in der Eröffnungsrede des Hauptgeschäftsführers fiel es gleich mehrfach, wenn er dem kriegsgeschundenen Land „erstaunliche Resilienz“ bescheinigte. Hamburgs Unternehmen würden dort schließlich kaum investieren, „wenn sie nicht an dessen wirtschaftliches Potenzial glauben“. Auch die Generalkonsulin Dr. Iryna Tybinka betonte, wie wichtig es sei, „Chancen zu finden und zu ergreifen“ und „nicht Teil des Problems zu sein, sondern der Lösung“.

Die Ukraine ist laut Finanzsenator Dr. Andreas Dressel ein „interessanter Markt“ voll „hervorragend ausgebildeter Menschen“, der „Bomben, Terror, Tod und Leid“ seit 900 Tagen zu trotzen vermag. Es lohnt sich daher, meinte Iryna Tybinka, „mit unserem Land Geschäfte zu machen“. Denn die Ukraine lebe und kämpfe und werde stärker und resilienter, weshalb es nicht nur um Wiederaufbau gehe, sondern um das Prinzip „Build back better!“

Wie gelingt es, den Wiederaufbau in der Ukraine einzuleiten und die Überlebensfähigkeit der Wirtschaft zu sichern? Wie lassen sich in diesen Zeiten Geschäftsbeziehungen aufbauen? Beim „Wirtschaftsforum Ukraine“ haben Hamburger Unternehmen, die ihr Engagement in der Ukraine verstärkt oder neu aufgebaut haben, von ihren Erfahrungen berichtet. Laut Reiner Perau, Geschäftsführer der AHK Ukraine sind aktuell 2000 deutsche Firmen und mehrere Hundert Tochtergesellschaften in der Ukraine aktiv. Zurückgezogen hat sich nur eines. Bis zu 30 deutsche Fabriken produzieren vor allem für die Autozulieferung. Aktuell nimmt die Ukraine Platz eins der genehmigten Investitionsaufträge ein. Weitere Informationen hier.

Reiner Perau, Geschäftsführer der Auslandshandelskammer (AHK) Ukraine und Hauptredner des Wirtschaftsforums, nannte ein Beispiel:  Bei der Reparatur oder Erneuerung von großflächig zerstörten ukrainischen Elektrizitätswerken bestehe die Chance, die Stromversorgung nicht nur widerstandsfähiger, sondern nachhaltiger, also grün zu machen. Dafür gebe es Kompetenz und Intelligenz sowie großartige Ingenieurwissenschaften und Informatik, moderne Ausbildung und Sichtweisen auf die Welt. Ausnahmslos ausgezeichnete Aussichten also für deutsche Investoren?

Die Mobilmachung entziehe der Wirtschaft so konstant Personal, dass selbst Schlüsselindustrien schlingern. Die epidemische Korruption gehe zurück, aber noch nicht auf nordwesteuropäisches Niveau. Die Gefahr der Zerstörung sei „ein gigantischer Wettbewerbsnachteil, der das Investitionsklima massiv verschlechtert“, so Perau weiter. Und Generatoren aus EU-Produktion schlössen zwar manche Versorgungslücke, „aber zum achtfachen Preis“.

Dennoch passte das Kampagnenmotto gut zur anschließenden Podiumsdiskussion. Der beste Zeitpunkt zu investieren, hieß es da, sei jetzt. Und genau das fanden auch zwei Hamburger Unternehmensvertreter links und rechts von Sophia Schultz-Renz, die als CUO der Euler Hermes AG über das richtige Risikomanagement an riskantem Ort berichtet.

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Etwa 70 Gäste nahmen am „Wirtschaftsforum Ukraine“ in der Handelskammer teil. Unter anderem ging es um die Frage, wie das Land inmitten laufender Kampfhandlungen wiederaufgebaut werden kann.

André Schulte zum Beispiel schilderte als Geschäftsführer des Eimsbütteler Notfallmedizintechnikers Weinmann – und gelernter Rettungssanitäter – seine „Mission, weltweit mehr Menschenleben zu retten“, indem sein Unternehmen Notfallfahrzeuge ausrüstet. Und wo sei das notwendiger als dort, wo gerade Tausende im Bombenhagel sterben? Daher will Schulte das Personal des eigenen Entwicklungsstandortes seines Mittelständlers in Lwiw bis Anfang 2025 auf 15 Mitarbeitende fast verdoppeln.

Philip Sweens, Geschäftsführer von HHLA International, ermutigte die Gäste: „Schaut euch dieses Land genau an!“ Schließlich gebe es auch hier kein risikofreies Investment, aber durchaus intakte Infrastruktur wie den topmodernen HHLA-Terminal in Odessa. Seit Dezember 2023 verschifft die Ukraine von dort aus wieder Getreide in alle Welt, seit Juli zudem Container und hält selbst für den erfahrenen Sweens so manche Überraschung bereit.

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Reiner Perau, Geschäftsführer der AHK Ukraine, auf dem Podium

Zum Beispiel, dass der ukrainische Schienenverkehr weitestgehend funktioniert. „Teilweise besser als der deutsche“, fügte er hinzu, „sorry to say that“. Das Lachen im voll besetzten Forum zeigte, wie dankbar das Publikum für gute Nachrichten ist. Zumal diese jederzeit ins Gegenteil umschlagen können. Der Krieg lässt schließlich nicht nur kein Ende erkennen, sondern hat seit dem Grenzübertritt ukrainischer Truppen auch ein neues Level erreicht.

Umso wichtiger war dem Podium, Chancen und Risiken in ein konstruktives Verhältnis zu bringen. Etwa durch Export-Kreditgarantien und Investitionsabsicherungen, wie sie Sophia Schultz-Renz anbietet. Ihr Rat an kleine und mittelständische Unternehmen wie das von André Schulte lautete daher: „Suchen Sie das Gespräch mit uns.“ Und zwar „lieber jetzt als nach der letzten Patrone“, ergänzt Reiner Perau für alle Branchen. Denn wenn der Krieg – hoffentlich bald – zu Ende ist, „wird es für Investoren eng in der Ukraine“.


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