Galoppierende Inflation, gestörte Lieferketten, drohende Pleitewellen und Rezession: Schon die Gegenwart ist für viele beängstigend, und die Zukunft wirkt auf manche noch dunkler. Schließlich nimmt der Klimawandel längst bedrohliche Formen an, und Energie- oder Versorgungsprobleme sind womöglich nur ein Vorgeschmack auf zukünftige Entwicklungen.
Doch trotz insgesamt trüber Aussichten besteht auch Hoffnung, die globalen Probleme mithilfe nachhaltiger, innovativer Technologien besser zu bewältigen – vorausgesetzt, alle Beteiligten ziehen am selben Strang und akzeptieren notwendige Maßnahmen.
„Wie müssen Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft interagieren, dass wir diese Herausforderungen meistern?“, fragte deshalb die Universitäts-Gesellschaft Hamburg – und lud am 22. November anlässlich ihres 100-jährigen Bestehens gemeinsam mit der Handelskammer zu einer Zukunfts-Konferenz an den Adolphsplatz.
Endgültige Antworten auf die drängendsten heutigen Fragen, das berichtet Einführungsredner Prof. Heinrich Graener, waren trotz geballter Expertise kaum zu erwarten. „Zumal die Tagung natürlich nicht alle Anforderungen unserer Zeit behandelt hat“, betont der frisch emeritierte Dekan der Fakultät für Mathematik, Informatik und Naturwissenschaften (MIN) der Universität Hamburg. Die Auswahl der Themen – Klima, Energie und Medizin – habe allerdings ermöglicht, Schlaglichter auf zentrale Felder zu werfen und neue Fragen zu stellen. Zum Beispiel nach den aktuellen Anwendungen und Perspektiven von Wasserstoff in der Energiewirtschaft. Oder, so ein Thema im Medizin-Feld, nach 3D-Modellen menschlicher Körperteile, die als Organersatz dienen könnten. Und vor allem auch – so das vierte Konferenzthema – nach „Akzeptanz und Transparenz“ und damit nach der Gestaltung zukunftstauglicher Krisenkommunikation.
Denn jede Implementierung neuer Technologien, jede Maßnahme, die das Alltagsleben verändert, muss auch vermittelt werden. Es gilt, so Graener, „aktiv im Gespräch zu bleiben, um Ursache und Wirkung kritisch miteinander zu beleuchten“. Wie wichtig dies ist, hat der Physiker in fast fünf Jahrzehnten Hochschulerfahrung gelernt. Und nur so, ergänzt seine Podiumskollegin Prof. Anita Engels, könne ein interdisziplinäres Treffen wie das in Hamburg Dialoge „anstoßen, vertiefen“ und mithilfe „einer gut vernetzten Institution wie der Handelskammer“ das wichtigste Ziel aller Wissensvermittlung erreichen: Partizipation möglichst breiter Bevölkerungsschichten über das Wahlrecht hinaus.
Schließlich ist die notwendige nachhaltige Transformation praktisch aller Sphären ein Kraftakt, der nur kollektiv zu bewältigen ist. „Sei es durch die finanzielle Ausstattung oder praktische Einbindung“, sagt Soziologie-Professorin Engels, auch in ihrer Funktion als Sprecherin des Hamburger Exzellenzclusters „Climate, Climatic Change and Society“ (CLICCS). Und nennt „gemeinsame Stadtteilgestaltung“ als gelungenes Beispiel zivilgesellschaftlicher Teilhabe. Im Kleinen handeln, um Großes zu bewirken: Auch das will kommuniziert werden, um zumindest jene zu erreichen, die offen für Veränderungsprozesse sind – ob unternehmerischer, sozialer, kultureller oder technischer Natur.
Gerade technische Veränderungen stoßen laut Handelskammer-Geschäftsführer Paul Elsholz in Deutschland allerdings oft auf Skepsis. Anders als in fortschrittsfreudigeren Ländern von Asien bis Amerika werden Innovationspotenziale „nicht ausgeschöpft, sondern ausgebremst“. Seine Forderung: Damit die akademische Theorie, etwa klimafreundliche Technologien, rasch zur unternehmerischen Praxis wird, „brauchen wir den engen Schulterschluss zwischen Wissenschaft und Wirtschaft“.
Hochrangige Gäste
Das Podium der Zukunfts-Konferenz war ebenso prominent wie kompetent besetzt. Der Präsident des Deutschen Wasserstoff- und Brennstoffzellenverbandes, Dr. Oliver Weinmann, diskutierte zum Beispiel mit der Politikwissenschaftlerin Prof. Antje Wiener. CEO Dr. Werner Lanthaler vertrat das Pharmaunternehmen Evotec, Dr. Madeleine Bunders das UKE, und nach dem Grußwort von Universitätspräsident Prof. Hauke Heekeren sprachen: Varena Junge (Gründerin & CEO Yook GmbH), Dr. Georg Böttner (Head of Executive Board Projects/Hydrogen HHLA), Jan Bremer (CEO Organauts), Dr. Maik Reder (Founder & CEO annea.ai GmbH) und Dr. Harald Vogelsang (Vorstandssprecher Haspa).
Genau diesen sollte auch die Zukunfts-Konferenz befördern. Beim Energieträger Wasserstoff zum Beispiel, mahnt Physiker Heinrich Graener, „dürfen wir keinesfalls die Fehler der Atomkraft wiederholen und Fragen nach Risiken oder Entsorgung einfach unbeantwortet verschieben“.
Auch hier geht es also um besser vermittelte Theorie und Praxis. Die Interaktionsfähigkeit der Lokalpolitik nennen Konferenzbeteiligte zwar „begrenzt“ (Engels) oder „verbesserungswürdig“ (Graener). Sie dürfe sich aber „ein Beispiel an der Start-up-Kultur nehmen“, fügt der MIN-Veteran hinzu und nennt „die vielen Hubs und Cluster“ als Beispiele einer organischen Vernetzung von Unternehmen und Hochschulen. Dafür steht etwa das bundesweit beachtete Modellprojekt Norddeutsches Reallabor, das staatliche, wirtschaftliche und akademische Stellen koordiniert, um die Energiewende voranzutreiben. Und DESY, von der zuständigen Senatorin Katharina Fegebank zur „Elbphilharmonie der Wissenschaft“ erklärt, lockt sowieso Forschende zu Tausenden nach Bahrenfeld.
Auch auf der Zukunfts-Konferenz ging es ums Austauschen, Kooperieren, Investieren oder „auch nur ums gegenseitige Kennenlernen“, lobt Heinrich Graener das Tagungskonzept. Viele Branchen und Institute wüssten ja gar nicht, wie viel sie miteinander zu tun hätten. „Dabei erinnere ich mich als Wissenschaftler manchmal erst im Dialog, was ich weiß und was nicht.“
Für einen Dialog zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Politik bot die Konferenz, die unter der Schirmherrschaft von Wirtschaftssenator Michael Westhagemann und Vizebürgermeisterin Fegebank stand, jedenfalls reichlich Möglichkeiten. Am 22. November begrüßte Handelskammer-Präses Norbert Aust geballte Kompetenz, schaltete mit dem Physiker Prof. Klaus Hasselmann einen Nobelpreisträger zu, ließ aber auch die Wirtschaft zu Wort kommen. Etwa in Gestalt von Shell-Geschäftsführer Jens Müller-Belau: In seiner Funktion als Managing Director Energy Transition der deutschen Holding in Hamburg referierte dieser zum Thema „Klima“; seinen Standort als nordeuropäisches Zentrum für Energie, Industrie, Logistik sieht er in „herausgehobener Rolle, um etwa beim Aufbau neuer Technologien und Energie-Cluster voranzugehen“ (siehe auch Info-Kasten unten). Zumindest wenn alle Beteiligten Transparenz, Teilhabe und Akzeptanz verbessern. Für eine Zukunft voller Zuversicht, die für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit steht, nicht für Klimakrise, Pandemien und Populismus.
Wasserstoff in Hamburg
Welche Rolle kann Hamburg für die Wasserstoffwirtschaft spielen? Dazu Jens Müller-Belau, Geschäftsführer und Managing Director Energy Transition Germany der deutschen Shell-Holding: „Hamburg darf sich glücklich schätzen. Hier gibt es viele Komponenten, die wir brauchen, um etwa eine Wasserstoffwirtschaft aufzubauen. Im Grunde kann Norddeutschland die gesamte H2-Wertschöpfungskette abdecken, von der Primärenergie – vor allem Wind – über Unternehmen mit Know-how zur H2-Erzeugung und Infrastruktur in Form von Leitungsnetzen bis hin zu den Sektoren, die Bedarf an grünem Wasserstoff haben.“