Resolution: „Preisspirale bei Energiekosten durchbrechen“

Ein Sonderplenum der Handelskammer Hamburg richtete am Montagabend konkrete Forderungen an die Politik.
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Hamburg, 19. September 2022. “Die Energiekrise bedroht die Wirtschaft und die Zukunft des Standorts massiv”, betonte Norbert Aust, Präses der Handelskammer am Montag in einer Sondersitzung des Plenums. „Für viele Unternehmerinnen und Unternehmer geht es in den kommenden Monaten um die Existenz. Im gleichen Maße sind auch tausende Arbeitsplätze in Hamburg akut gefährdet. Der Staat muss endlich seiner Kernaufgabe nachkommen und die Rahmenbedingungen für eine sichere Energieversorgung zu wettbewerbsfähigen Preisen organisieren. Dazu müssen befristet Energieträger, von denen wir uns eigentlich schon verabschieden wollten, wie Kohle und Kernkraft, bis zum Ende der Krise weiter genutzt werden. Gleichzeitig muss die Bundesregierung die zusätzliche Abgabenlast auf den Energiepreis senken. So werden die Energiepreise spürbar gedämpft und auf ein Preisniveau gebracht, bei dem Unternehmen im europäischen Vergleich wieder wettbewerbsfähig sind. Unsere Initiative, Hamburgs Wirtschaft bis 2040 klimaneutral zu gestalten, wollen wir weiter mit voller Kraft vorantreiben.“

„Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigen!“

In der Resolution drängt das Plenum der Handelskammer auf einen intensivierten Ausbau erneuerbarer Energien und die Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren. Eine weitere Verlagerung von Produktion in andere Länder mit niedrigeren Standards wäre im Sinne der gesteckten globalen Klimaziele allerdings fatal. Um den Wirtschafts- und insbesondere den Industriestandort Deutschland zu erhalten und die Energiepreise zu dämpfen, brauche es außerdem eine zeitlich befristete Weiternutzung konventioneller Energieträger. Dies beinhaltet die Rückholung von Kohle-Reservekraftwerken in den Markt und die Weiternutzung der sich noch am Netz befindlichen Kernkraftwerke bis zum Ende der Krise. Darüber hinaus sollen die rechtlichen, technischen, und finanziellen Voraussetzungen geschaffen werden, dass die drei im letzten Jahr vom Netz gegangenen Kernkraftwerke ebenfalls vorübergehend wieder betrieben werden können. Das Plenum der Handelskammer fordert zusätzlich die Ausweitung des geplanten Hamburger Notfallfonds Energie. Wichtig ist, dass die Wirtschaft von Beginn an in die Planung und Ausgestaltung der Hilfspakete einbezogen wird.

Pressekontakt: Peter Feder / Kerstin Kramer

Die Resolution im Wortlaut

Die Hamburger Unternehmen werden von dieser Energiekrise mit voller Wucht getroffen. Für viele geht es jetzt und in den kommenden Monaten um ihre Existenz. Bereits heute sehen über 40 Prozent der Hamburger Unternehmen ihren Betrieb aufgrund der Energiekrise in Gefahr; in der für die Wertschöpfungskette besonders bedeutsamen Industrie sogar über 60 Prozent. Die Hälfte aller Unternehmen fürchtet zudem, das Geschäft teilweise oder sogar ganz einstellen zu müssen. Die Energiekrise bedroht die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft und unseres Standorts grundlegend. Aufgabe des Staates ist es die Rahmenbedingungen für eine sichere und bezahlbare Energieversorgung zu gewährleisten. Eine der wichtigsten Aufgaben des Staates ist es, die Energieversorgung sicher und bezahlbar zu gewährleisten. Wird diese Aufgabe nicht erfüllt, hat dies verheerende Folgen für unsere Volkswirtschaft in Form von Abwanderung von Wertschöpfung ins Ausland.

Vor diesem Hintergrund ruft die Hamburger Wirtschaft die Bundes- und Landespolitik eindringlich dazu auf, gemeinsam mit ihren europäischen Partnern umgehend Maßnahmen zu ergreifen, um die Energieversorgung zu wettbewerbsfähigen Preisen zu sichern. Es geht dabei um nicht weniger als die Rettung unseres Wirtschafts- und Industriestandorts.

1. Preisspirale mit aller Konsequenz durchbrechen

Die Preise für Strom und Gas sind explodiert. Die Möglichkeiten der Unternehmen, den gewaltigen Kostenanstieg aufzufangen, sind aufgrund der Inflation und der allgemeinen Konsumzurückhaltung äußerst eingeschränkt. Davon betroffen sind alle Staaten der Europäischen Union, Deutschland aber in besonders hohem Maße. Der Energiekrise muss daher noch stärker auf europäischer Ebene begegnet werden, um eine Konkurrenzsituation unter den europäischen Staaten zu vermeiden. Einen kurzfristigen, zeitlich befristeten Eingriff in den Preismechanismus auf europäischer Ebene halten wir angesichts der ernsten Lage für notwendig. Durch das Merit Order Prinzip auf dem Strommarkt sorgt die andauernde Gasverstromung für die explodierenden Energiepreise. Deswegen sollten alle Gaskraftwerke zeitlich befristet heruntergefahren werden, bei gleichzeitiger Sicherung der Grundlast durch andere Energieträger. Dies würde nicht nur Gas sparen, sondern auch unmittelbar zu sinkenden Stromkosten führen, weil dann kein Strom von den teuren Gaskraftwerken preisbildend in das Netz eingespeist wird. Die Bundesregierung kann und muss die politisch erzeugten Wettbewerbsnachteile deutscher Unternehmen bei den Energiekosten minimieren. Wir fordern, die Stromsteuer und die Energiesteuer auf Gas auf die europäischen Mindestsätze zu reduzieren. Zudem muss die Strom- und die neu eingeführte Gasumlage in den Staatshaushalt überführt werden. Auch beim Emissionshandelssystem sollten für die Dauer der Krise wirksame Entlastungen erfolgen.

2. Gasmangellage verhindern – Energieversorgung kurzfristig mit allen Mitteln gewährleisten

Noch sind die deutschen Gasspeicher gut gefüllt. Bereits zu Beginn des Winters kann es jedoch zu Versorgungsengpässen kommen. Sollte ein akuter Gasmangel eintreten und die Notfallstufe Gas ausgerufen werden, drohen der Wirtschaft drastische staatliche Eingriffe. Jetzt muss alles für eine sichere Energieversorgung getan werden. Solange diese akut bedroht ist, müssen alle technisch möglichen und ökonomisch sinnvollen Energiequellen genutzt werden. Die Kohle-Reservekraftwerke müssen in den Markt zurückgeholt und die noch am Netz befindlichen Kernkraftwerke bis zum Ende der Krise weiterbetrieben werden. Es sollen die rechtlichen, technischen und finanziellen Voraussetzungen geschaffen werden, damit die drei im letzten Jahr vom Netz gegangenen Kernkraftwerke ebenfalls vorübergehend wieder betrieben werden können. Der Import von LNG ist ein weiterer wichtiger Baustein. Zudem müssen die heimischen Erdgas-Kapazitäten zur Versorgung zeitnah stärker genutzt werden. Um eine akute Gasmangellage zu verhindern, bedarf es gesamtgesellschaftlicher Anstrengungen. Weitere Produktionseinstellungen und damit verbundene Energieeinsparungen müssen unbedingt vermieden werden. Die Hamburger Wirtschaft leistet bereits einen wichtigen, teils schmerzvollen Beitrag zur Bewältigung der Energiekrise, etwa in Form von Verzicht auf Belieferungen und intensiviert ihre Bemühungen für Energieeffizienz noch weiter. Das zum 1. Oktober 2022 geplante Gasauktionsmodell ist grundsätzlich ein guter Ansatz. Es kommt allerdings erst zum Einsatz, wenn eine Gasmangellage direkt bevorsteht. Es sind daher weitere Ansätze zu entwickeln, die gleichermaßen zu einer Reduktion des Gasverbrauchs und einer Aufrechterhaltung der Wertschöpfungsketten führen. Der Umstieg von Erdgas auf andere Energieträger dauert für viele Unternehmen noch zu lang. Gesetzliche Ausnahmeregelungen, beispielsweise für Heizöltanks, müssen daher erweitert und Genehmigungsverfahren für einen Fuel Switch deutlich beschleunigt werden.

3.    Unternehmen gezielt und unbürokratisch unterstützen

Unternehmen vertrauen auf eine sichere und bezahlbare Energieversorgung. Ist diese gewährleistet, sind finanzielle Hilfen für ansonsten gesunde Betriebe nicht nötig. Jetzt geraten viele Betriebe unverschuldet in Not; direkte Energiekostenzuschüsse und Hilfen für Unternehmen sind daher gerechtfertigt und notwendig. Die bisherigen Entlastungspakete der Bundesregierung zielen vor allem auf die Entlastung der Bevölkerung, um das Konsumklima zu stabilisieren. Für Unternehmen sind sie bei Weitem nicht ausreichend. Das Energiekostendämpfungsprogramm muss nicht nur mehr Unternehmen zugänglich gemacht werden, auch die Höhe der Beihilfe sollte angesichts weiterer Preissteigerungen angepasst werden. Unternehmen, die aktuell keine Lieferverträge für Strom und Gas mehr bekommen, müssen Anspruch auf eine Ersatzversorgung erhalten, unabhängig von der Spannungsebene.

Wir begrüßen den vom Hamburger Senat kurzfristig eingerichteten Notfallfonds für Unternehmen. Die Mittel müssen nun schnell, niedrigschwellig und unbürokratisch bei den Unternehmen ankommen. Ob die Höhe des Fonds mit 100 bis 125 Mio. Euro ausreichend ist, wird sich zeigen. Über den Notfallfonds hinaus müssen auch ein ergänzendes Darlehensprogramm, eine Ausweitung der Bürgschaften und weitere Beratungsangebote für Unternehmen aufgesetzt werden. Zur Entlastung sollten auch die Rückzahlungen der Corona-Hilfen bis nach der aktuellen Krise ausgesetzt werden.

4.    Klimaziele entschlossen weiterverfolgen

Die Hamburger Wirtschaft hat sich mit ihrer Standortstrategie „Hamburg 2040 – Wie wollen wir künftig leben und wovon?“ zu dem Ziel bekannt, den Wirtschaftsstandort Hamburg bis ins Jahr 2040 klimaneutral zu gestalten. An diesem Ziel halten wir ausdrücklich fest und wollen den Transformationsdruck aktiv für diese Ziele nutzen. Hierfür ist eine starke Wirtschaft notwendig, die mit den von uns geforderten, kurzfristigen und temporären Maßnahmen unterstützt werden muss. Eine weitere Verlagerung von Produktion in andere Länder mit niedrigeren Standards ist für den globalen Klimaschutz fatal. Bundes- und Landesebene müssen daher die Strukturen schaffen, die es der Hamburger Wirtschaft ermöglichen, nach der Krise schnellstmöglich klimaneutral zu wirtschaften. Hierzu sind der intensivierte Ausbau der erneuerbaren Energien und die radikale Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren unabdingbar.

Beschluss des Plenums der Handelskammer Hamburg vom 19. September 2022

Nach der einstimmigen Beschlussfassung über die Resolution haben sich einzelne Kammermitglieder gegen Teile der Forderungen aus der Resolution ausgesprochen und die Initiative „Hamburger Wirtschaft gegen Atomkraft“ gegründet.

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