Von den sephardischen Juden, die Anfang des 17. Jahrhunderts aus Portugal nach Hamburg flohen und hier unter anderem mit Zucker und Juwelen handelten, bis zu den zahlreichen migrantischen Geschäftsleuten, deren Restaurants, Reiseunternehmen und Einzelhandelsgeschäften aus der Hansestadt nicht wegzudenken sind: Eingewanderte haben Hamburgs Wirtschaftsleben in den vergangenen 400 Jahren maßgeblich geprägt.
Und bis heute sind sie wirtschaftlich außerordentlich aktiv: Mehr als ein Drittel der Menschen, die hier 2021 ein eigenes Unternehmen gründeten, hatte keinen deutschen Pass, informierte der Senat im November 2022. Allein 20 000 Mitgliedsunternehmen der Handelskammer werden von Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit geführt – und noch weit mehr von Eingebürgerten, bestätigt Bahram Habib. Er betrachtet die kulturelle Vielfalt der 185 in Hamburg vertretenen Nationen „als Stärke und als Chance für unsere Stadt“ und bemerkt besonders starke Gründungsaktivitäten bei der „dritten Generation“, also Menschen, deren Großeltern nach Deutschland eingewandert sind.
Der 45-jährige gebürtige Afghane, der 1996 nach Deutschland kam, wechselte vor acht Jahren von der 2008 gegründeten Arbeitsgemeinschaft selbstständiger Migranten (ASM) zur Handelskammer. Auf Dari, auf Englisch und auf Deutsch berät er hier Mitglieder mit Migrationshintergrund, insbesondere die, welche „die Beratungsangebote und Services der Handelskammer nicht gut kennen und eine intensivere Unterstützung benötigen“. Dies beinhaltet neben zahlreichen praktischen Hinweisen zu Existenzgründung und Fördermöglichkeiten auch eine Navigation durch den juristischen Dschungel: „Als Erstes sollte ein Unternehmen, die richtige juristische Form gewählt haben“, betont Habib. Passt eine AG, KG, GmbH oder eine Genossenschaft? Und welche Anforderungen stellen die jeweiligen Rechtsformen in Bezug auf Buchhaltung und Finanzen?
Bei Gründungen hilft die Kammer
Über zwei Gründer freut sich Habib besonders, denn er motivierte sie bereits zu ihrer Ausbildung. Der gebürtige Türke Ahmet Bayanbas kam 2002 als Grundschüler nach Hamburg und wurde nach dem Abitur bei Aldi-Nord zum Einzelhandelskaufmann ausgebildet. „Mein Wunschberuf war Einzelhandel, weil ich aus einer Einzelhandelsfamilie komme. Als sich Ende 2022 die Gelegenheit bot, haben wir uns entschlossen, das Aladin-Familienunternehmen zu erweitern“, erzählt Bayanbas. „Corona ist noch nicht vorbei, und Lebensmittelläden werden in solchen Krisenphasen nicht geschlossen“, sagt der Unternehmer, der auf der 480 Quadratmeter großen Ladenfläche in St. Georg bewusst auf türkische Lebensmittel setzt.
Auch der Inhaber des im April eröffneten „Sushi für Hamburg Hohenfelde“ in der Lübecker Straße konnte auf die Unterstützung des Kammerexperten bauen. Der gebürtige Afghane Naser Norestanee kam 2012 als 18-Jähriger nach Deutschland, seit 2013 ist er mit Habib in Kontakt, der ihn immer wieder motivierte. „Er macht einen richtig guten Job, findet immer eine Lösung“, schwärmt Norestanee von Habib. Denn anfangs fühlte er sich nicht willkommen.
Als Taekwondo-Meister des afghanischen Nationalteams hätte er seine sportlichen Ambitionen gern hier verwirklicht. Doch ohne Pass war eine Teilnahme an internationalen Turnieren nicht möglich – und seine Anerkennung dauerte fünf Jahre: „zu lang, viel verlorene Energie“. Nach der Deutschprüfung (B1) machte er seinen Realschulabschluss in der Abendschule, absolvierte eine Ausbildung zur Fachkraft Gastgewerbe in einem indischen Restaurant, arbeitete als Barmann, Spüler und Geschäftsführer. Und jetzt gelang die Übernahme des Franchise-Unternehmens mit „einer guten Idee, einem guten Businessplan und Unterstützung durch die Haspa“, freut sich Norestanee, der im Geschäftsleben noch viel vorhat.
Neue Fachkräfte für Hamburg
Eingewanderte beleben nicht nur das Wirtschaftsleben, sondern können auch dazu beitragen, den akuten Mangel an Fachkräften zu lindern. Das zeigt etwa Siemens. „Vor allem aus dem Iran stammen viele gut ausgebildete Techniker und Ingenieure, darunter auch viele Frauen. Und durch den Bürgerkrieg in Syrien sind nach 2015 sicher auch einige von dort geflüchtete Fachkräfte bei Siemens in Deutschland gelandet“, erklärt Lars Kläschen, Pressesprecher der Siemens AG für die Region Deutschland Nord. Genauere Daten kann er nicht nennen, denn im Unternehmen werden keine statistischen Daten zu Hautfarbe, Religion oder Staatsangehörigkeit erfasst. „Die Herkunft war in unserem Weltkonzern nie ein Thema. Wer gut Englisch spricht und die entsprechende Qualifikation mitbringt, hat bei Siemens stets gute Chancen.“
Die Arbeitsgemeinschaft selbstständiger Migranten e. V. (ASM) bietet Unterstützung und monatliche Sprechtage für migrantische Gründerinnen und Gründer an. Hier geht es zur Anmeldung.Anmeldung unter. Das Hamburg Welcome Center (HWC) dient der beruflichen Integration von Menschen, die nach Hamburg zugewandert sind. Es wird gemeinsam von der Arbeitsagentur, dem Jobcenter, verschiedenen Hamburger Behörden und weiteren Institutionen getragen. Die Handelskammer hält zahlreiche Infos und Beratungsangebote für Unternehmen bereit, die Schutzsuchende beschäftigen wollen. Einen Überblick erhalten Sie hier. Ebenfalls bietet die Handelskammer migrantischen Unternehmen kostenlose individuelle Beratungen auf Englisch, Türkisch, Dari, Farsi und Deutsch.
Die Beschäftigung von Personen, die nicht aus der EU stammen, stellt Unternehmen allerdings vor etliche Hürden. So erklärt etwa Marco Lange, Kommunikationsmanager Deutschland der Windturbinentochter Siemens Gamesa: „Unsere Teams für die Installation und Wartung von Windparks sind europa- und teilweise weltweit im Einsatz. Aber die Blaue Karte EU reicht zum Beispiel für Arbeitseinsätze im Schengenraum als Aufenthaltstitel nicht aus. Aufgrund von operativen Tätigkeiten sind hierfür weitere Arbeitsgenehmigungen erforderlich.“ Weltweit beschäftigt Siemens Gamesa 28 000 Mitarbeitende aus 66 Nationen, mehr als Dreiviertel sind männlich. In Deutschland arbeiten etwa 3000, die Hälfte davon in Hamburg.
„Wir haben in der Branche einen Arbeitnehmermarkt, viele Stellen können wir einfach nicht besetzen“, bedauert Lange. Und während das Unternehmen das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz „grundsätzlich positiv“ sieht, gibt der Sprecher zu bedenken: „Entscheidend ist auch die Geschwindigkeit, in der Anträge bearbeitet werden. Hier besteht weiterhin großer Handlungsbedarf bei den Ausländerbehörden.“
Einwanderung und Integration fördern
Gefragt sind also eine gezielte Förderung und Gestaltung der Einwanderung sowie erleichterte Zuzugsbedingungen. Entsprechende Vorschläge formulierte die Handelskammer bereits in ihrer Ende 2022 verabschiedeten Fachkräftestrategie – zum Beispiel die vereinfachte und beschleunigte Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse, den Verzicht auf die vollständige Gleichwertigkeit der Qualifikation, beschleunigte administrative Prozesse, etwa durch Schulungen von Visastellen zum Fachkräfteeinwanderungsgesetz – und einen besseren Zugang zu Integrationskursen. Denn neben bürokratischen Hürden sind insbesondere die Wohnungssuche, das Knüpfen von Kontakten, die Jobsuche und der Spracherwerb für Geflüchtete und neu in Hamburg Zugewanderte ein großes Problem.
Die Handelskammer regt deshalb nicht nur Vorintegrationsprogramme in den Heimatländern an, sondern fordert auch verstärkten Wohnungsbau sowie bessere Integrationsarbeit in den Wohnvierteln – und bietet selbst praktische Unterstützung. Zum Beispiel mit dem „Marktplatz der Begegnungen“, der ausländischen Arbeitssuchenden mit ersten Deutschkenntnissen die Möglichkeit bietet, in ungezwungener Atmosphäre potenzielle Arbeitgeber kennenzulernen. Eine zentrale Anlaufstelle für migrantische Menschen ist das Hamburg Welcome Center, in dem verschiedene Institutionen zusammenarbeiten, um bei der Arbeits- und Ausbildungsplatzsuche zu unterstützen. Der von der Handelskammer mitgegründete Verein „Ausbildungsförderung der Hamburger Wirtschaft e. V.“ vermittelt hier etwa Einstiegsqualifizierungen.
Viele Hamburger Unternehmen engagieren sich ebenfalls, um migrantische Mitarbeitende zu fördern und zu integrieren. So nutzt das Hotel Reichshof am Hauptbahnhof ein „Patensystem“: Mitarbeitende helfen Geflüchteten, die dort arbeiten, etwa bei der Wohnungssuche. Zudem setzt das Hotel auf flexible Arbeitszeiten, die den Besuch von Deutschkursen ermöglichen. Die Transworld Cargo Spedition mit Büro im Kleinen Grasbrook und Hauptsitz in Namibia bietet ausländischen Fachkräften in Hamburg sogar eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung an.
Bessere Integration, mehr Akzeptanz und Information, weniger Bürokratie: Das wünschen sich auch zahlreiche Zugewanderte, die in Hamburg erfolgreich eine Karriere aufgebaut haben. Etwa der Politologe Trent Greenland aus dem australischen Adelaide, der vor 20 Jahren beim Umzug von Tokio nach London in Deutschland hängenblieb und seit 2021 bei Siemens Gamesa arbeitet. Er könnte sich einen „Accelerator/Peer für Menschen mit Migrationshintergrund vorstellen, der alle Erfahrungen, insbesondere im Bereich Interkulturelles weitergibt“.
Oder die ebenfalls bei Gamesa beschäftigte Maschinenbauerin Vinayasri Nidadavolu aus Hyderabad in Indien, die feststellt: „Für ausländische Frauen ist es ein bisschen schwerer, sich Respekt zu erarbeiten – vor allem in Männerdomänen wie Produktion und Anlagenbau.“ Viele ihrer früheren Mitstudierenden sind wieder zurückgegangen in die Heimat, sie scheiterten an der aufwendigen Bürokratie. Dies gelte es als Erstes abzubauen, inklusive weiterer Hürden, etwa kultureller Vorurteile.
Ausländische Mitarbeitende sind häufig auch im Unternehmen besonders aktiv. So engagiert sich etwa Bauingenieur und Infrastrukturplaner Farooq Akram, der 2011 aus dem pakistanischen Lahore nach Deutschland kam, in seiner Freizeit im „Diversity and Inclusion Board“ bei Gamesa. „Um höhere Positionen zu erreichen, brauchst du als Ausländer mehr Ausdauer“, sagt der junge Vater. Nidadavolu ist ihrerseits im Club „Women@SGRE“ sowie bei „Women Energize Women“ aktiv. Doch sicher ist: Damit die Integration klappt, müssen die Voraussetzungen stimmen. „Herzlich willkommen in Hamburg!“ sollte die Devise sein.
Das im Juli beschlossene Gesetz zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung (Fachkräfteeinwanderungsgesetz) erleichtert ab November 2023 die Einwanderung.
Vereinfachter Arbeitsmarktzugang Niedrigere Gehaltsgrenzen für die Blaue Karte EU, erweiterte Liste der Engpassberufe und erleichterter Familiennachzug. Zweijährige Berufserfahrung und ein staatlicher Berufsabschluss genügen für jede qualifizierte Beschäftigung.
Anerkennung von Qualifikationen Die Aufenthaltserlaubnis für Qualifizierungsmaßnahmen kann auf insgesamt drei Jahre verlängert werden. Die Einreise ist ohne vorheriges Anerkennungsverfahren möglich.
Erhöhte Attraktivität Die Niederlassungserlaubnis kann nach drei Jahren erteilt werden. Inhaber der Blauen Karte EU erhalten sie nach 21 beziehungsweise 27 Monaten.
Auf Punktesystem basierende Chancenkarte Auswahlkriterien sind anerkannte Qualifikationen, Sprachkenntnisse, Berufserfahrung, Alter sowie Potenzial der mitziehenden Partner.