Indien tritt aus dem Schatten

Für Hamburger Unternehmen bleibt Asien wichtige Wachstumsregion. Dabei steht nicht mehr nur China im Fokus, die regionalen Schwerpunkte ändern sich – und Indien gewinnt als Handelspartner weiter an Bedeutung.
Stulz GmbH
Der Hamburger Klimaanlagen-Hersteller Stulz investiert massiv in sein Werk in Mumbai.

Von Kerstin Kloss, 27. September 2023 (HW 5/2023)

Sameeha – Hamburg
IGCC/AHK Indien
Sameeha Pradeep Sule, Hamburg-Repräsentantin in Mumbai

Das Hamburger Familienunternehmen Stulz GmbH stellt Klimaanlagen her, seit 2005 betreibt es je eine Fabrik in China und Indien. „Unser indisches Werk in Mumbai bauen wir immer weiter aus“, sagt der stellvertretende Präsident Kurt Plötner. Mit weiteren Investitionen in China sei die Firma dagegen „zurückhaltend“, weil sich die Marktbedingungen verschlechtern: „Die chinesische Regierung hat massiv die Entstehung von lokalen Konkurrenzunternehmen gefördert“, konstatiert er. Bei vielen großen Regierungsausschreibungen würden ausländische Hersteller „nicht mehr zu Angeboten aufgefordert“. 

Wirtschaftsbeziehungen mit China

Tatsächlich werden die Wirtschaftsbeziehungen mit China immer schwieriger. Das Land bleibt zwar der wichtigste Außenhandelspartner Deutschlands und Hamburgs, doch derzeit steigen die Risiken – durch die geopolitische Lage, aber auch aufgrund zunehmender Tendenzen zur Entkopplung („Decoupling“), die sowohl von der chinesischen Führung als auch von Ländern wie den USA vorangetrieben werden. So betonte die Bundesregierung in ihrer im Juli veröffentlichten China-Strategie, dass es künftig darum gehe, „die ökonomische Resilienz zu erhöhen“. Diese Notwendigkeit sieht auch der Hamburger Senat, dessen im Mai 2023 verabschiedetes aktualisiertes Außenwirtschaftskonzept unter anderem empfiehlt, „auf eine Diversifizierung der Hamburger Handelsbeziehungen hinzuwirken“, und Indien als komplementären Produktionsstandort hervorhebt.

India Week Hamburg 2023 Welche Möglichkeiten bietet die indische Wirtschaftspolitik Hamburger Unternehmen? Darüber informiert die Handelskammer als Mitinitiatorin der India Week beim Hamburg-India Business Day am 21. November. Auf der Präsenzveranstaltung, bei der die Kammer eine Delegation des indischen IT-Verbandes NASSCOM erwartet, erhalten Geschäftsleute einen Überblick über wichtige wirtschaftliche und politische Entwicklungen und können sich vernetzen. Darüber hinaus bietet die zehnte India-Week vom 20. bis zum 26. November einen bunten Strauß aus etwa 60 bis 80 Veranstaltungen zu Wirtschaft, Politik, Gesellschaft, Wissenschaft, Kultur und Sport. Informationen zur India Week und zum Hamburg-India Business Day erhalten Sie hier.

Während die Handelskammer grundsätzlich begrüßt, dass „auf die Initiative und Eigenverantwortung der Wirtschaft gesetzt“ wird – so Timm Rohweder, Regionalexperte Greater China –, ist die Diversifizierung für viele Unternehmen nicht nur ressourcenmäßig, sondern auch aufgrund der exorbitant steigenden Compliance-Anforderungen durch Regulierung eine große Herausforderung. Handelskammer-Hauptgeschäftsführer Dr. Malte Heyne sieht hierin einen Zielkonflikt, der vonseiten des Senates an keiner Stelle adressiert wird. Er sieht den Senat in erster Linie in der Pflicht, sich für adäquate Rahmenbedingungen einzusetzen und eine funktionierende Infrastruktur am Standort sicherzustellen.    

Wie schwer gerade kleineren Unternehmen die Diversifizierung fällt, zeigt etwa das Beispiel des Industrieanlagen-Spezialisten Walter Emmermann GmbH in Hamburg-Volksdorf, für die China der größte Absatzmarkt ist. „Als sehr kleines Unternehmen haben wir nicht die Ressourcen für einen Wechsel nach Indien“, sagt Geschäftsführer Jan Mähl. Zwar versuche die Firma, mehr nach Indonesien, Thailand, Vietnam und Südkorea zu verkaufen, aber das Volumen von China lasse sich dort „auf keinen Fall“ erreichen.

Auf dem chinesischen Markt fest verankert ist auch Hamburgs einziger DAX-Konzern: Beiersdorf konzentriere sich dort „auf seine Kernkompetenz – die Hautpflege – und seinen Gründungsstandort Shanghai“, fasst Ketin Lei, vor Ort General Manager Corporate Affairs/Legal Affairs, zusammen. In Hamburgs Partnerstadt unterhält das Unternehmen nicht nur eine Produktions- und Vertriebszentrale, sondern seit 2020 auch ein regionales Innovationszentrum – weltweit das zweitgrößte nach dem Firmensitz.

Die geopolitischen Spannungen wirken sich laut Lei vor allem auf die IT- und Dateninfrastruktur aus. Wegen abweichender Datenschutzbestimmungen benötige die Verbraucherforschung „manchmal zwei verschiedene Tools in unterschiedlichen geografischen Regionen“. Lokale Konkurrenten, die nur mit chinesischer IT-Infrastruktur arbeiten, hätten einen Geschwindigkeitsvorteil. Mit seinen Produktionsstätten in der ganzen Welt, auch in Indien, verfolge Beiersdorf aber keine „China plus eins“-Strategie, stellt Lei klar. Vielmehr gehe es darum, „Märkte mit weißen Flecken“ zu erschließen und zu bedienen.

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Wolfgang Jargstorff – stock.adobe.com
Die chinesische Staatsreederei COSCO ist seit dem 19. Juni mit 24,99 Prozent am HHLA Container Terminal Tollerort beteiligt.

Wachstumsmarkt Indien

Unterdessen durchläuft das Stulz-Werk in Mumbai die dritte Ausbauphase. Im kommenden Jahr soll die Produktion laut Plötner in Indien und China „gleich groß“ sein, 2025 werde der Standort in Mumbai den in Hangzhou überholen. Und Indien ist nicht nur für die Produktion von Klimaanlagen interessant, auch für Textil-, Automotive- oder Pharmaprodukte gibt es Potenzial. Ein Beschleuniger wäre das bis Jahresende geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und Indien.

Auch Sameeha Pradeep Sule, Hamburg-Repräsentantin in Mumbai, bemerkt seit Monaten „ein deutlich steigendes Interesse an der Beschaffung aus Indien“. Zudem verlagerten Hamburger Unternehmen Forschungs- und Entwicklungszentren verstärkt in das Land. 55 Hamburger Firmen sind bereits vor Ort – unter anderem Hapag-Lloyd, Jungheinrich und Lufthansa Technik. Branchen wie Groß- und Außenhandel, Logistik, Maschinenbau, elektronische Geräte, Unternehmensberatung und Einzelhandel spielen hier laut Sule eine wichtige Rolle.

Punkten kann das bevölkerungsreichste Land der Welt nicht nur mit günstigen Arbeitskräften und einer wachsenden Mittelschicht. Die indische Regierung setzt produktionsgetriebene Anreize für Schlüsselbranchen wie Autoteile, Batterieanlagen, Textilien und Weiße Ware. Ein hemmender Faktor sind bislang die hohen Logistikkosten aufgrund schlechter Transportinfrastruktur. Hier soll die Nationale Logistikpolitik Abhilfe schaffen. Zudem bietet die Deutsch-Indische Energiepartnerschaft Potenziale für Hamburger Firmen im Bereich erneuerbare Energien.

Kritik an Visapolitik Viele Mitgliedsfirmen der Handelskammer beklagen die restriktive Visa-Vergabe an außereuropäische Geschäftsleute, die bei Hamburger Unternehmen „realen Schaden“ verursache, sagt Timm Rohweder, Handelskammer-Regionalexperte Greater China. Das gelte zum Beispiel auch für China: Wenn chinesische Geschäftskontakte nicht zu Distributorentreffen oder Messen anreisen können, verhindere das Geschäftsanbahnungen. „Wir gehen davon aus, dass die Situation kurz- bis mittelfristig besser wird.“ Rohweders Anruf bei der deutschen Botschaft in Peking ergab: Während der Pandemie verwaiste Stellen werden jetzt wieder besetzt.

Auch Indiens Stärke in der IT- und Techbranche ist für Hamburger Firmen interessant. Mit der Einladung einer Delegation des IT-Verbands NASSCOM zur India Week Hamburg im November unternimmt die Handelskammer mit weiteren Partnern den Versuch, den Austausch zu intensivieren.

Als „vielversprechendes Zeichen“ für den Indienhandel wertet Wirtschaftssenatorin Dr. Melanie Leonhard, dass der Hamburger Hafen im ersten Halbjahr 2023 im Handel mit dem Subkontinent das beste Ergebnis seit vier Jahren verzeichnete – 99 000 Standardcontainer (TEU), plus 9,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Insgesamt ist Indien damit auf Platz acht der zehn wichtigsten Partnerländer im seeseitigen Containerverkehr aufgerückt.

Kann das Land also perspektivisch China den ersten Platz im Hamburger Außenhandel streitig machen? Vermutlich nicht – Indien ist aktuell weit weniger in die globale Wertschöpfung eingebunden als China und setzt seit jeher politisch auf größtmögliche Importunabhängigkeit. Gerade im Bereich Dienstleistungshandel sowie Forschung und Entwicklung hat das Land jedoch gute Voraussetzungen, China zu überholen.

Die Diversifizierung ist dennoch in vollem Gang – und auch der innerasiatische Handel wird für Hamburger Unternehmen zunehmend wichtig. Beiersdorf-Deos für das chinesische Festland stammen zum Beispiel größtenteils aus einer Fabrik in Thailand, die laut Ketin Lei „einen größeren Skaleneffekt“ hat. Auch für die Stulz GmbH sei der Export von Indien und China in asiatische Märkte „sehr wichtig“, sagt Kurt Plötner.


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India is Stepping Out of the Shadows – Hamburgmumbai
31. Oktober 2023 11:04

[…] here to read the full article in the Hamburg Chamber of Commerce’s magazine, “Hamburger […]