Für einen starken Gesundheitsstandort

Die Hamburger Gesundheitsbranche boomt, hat aber mit Fachkräftemangel und Bürokratie zu kämpfen. Ein neues Positionspapier der Handelskammer benennt wichtige Handlungsfelder.
Allein in der Asklepios Klinik Altona mit 1700 Beschäftigten arbeiten pro Jahr knapp 100 Ärztinnen und Ärzte sowie 300 Pflegekräfte ausschließlich für die Dokumentation.
GeorgHH/Wikimedia
Allein in der Asklepios Klinik Altona mit 1700 Beschäftigten arbeiten pro Jahr knapp 100 Ärztinnen und Ärzte sowie 300 Pflegekräfte ausschließlich für die Dokumentation.
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Von Felix Schoen, 8. Dezember 2025

Positionspapier Das neue Handelskammer-Positionspapier „Gesundheitsstandort Hamburg 2040“ analysiert die Stärken und Schwächen, Risiken und Chancen der Gesundheitsbranche in Hamburg – und benennt sechs zentrale Handlungsfelder.

„Wir stehen vor einem doppelten Tsunami“, warnt Asklepios-CEO Joachim Gemmel. „Es werden mehr Menschen versorgt werden müssen – und wir werden vermutlich weniger Menschen haben, die versorgen können.“ Um mehr Pflegefachkräfte zu gewinnen, seien Zuwanderung und Investitionen in die Ausbildung erforderlich.

Eine Ansicht, die auch das neue, vor wenigen Tagen vorgestellte Positionspapier „Gesundheitsstandort Hamburg 2040“ der Handelskammer teilt. Es stellt eine Reihe von Forderungen in Bezug auf jene Branche auf, die in Hamburg 10,3 Prozent der Wirtschaftsleistung erbringt und fast 190.000 Menschen beschäftigt.

Penible Nachweispflichten

Ein Problem ist etwa die allgegenwärtige Bürokratie. Auch wenn Kontrolle und Regulatorik gerade im medizinischen Bereich nötig sind, verursachen die komplexen Regulierungen doch „besondere Risiken für die Gesundheitswirtschaft“, erklärt das Papier. Neben zu hohen Datenschutz-Anforderungen nennt es als Negativbeispiel etwa die EU-Medizinprodukteverordnung (MDR). Diese schreibt für viele Produkte eine Neuzertifizierung sowie umfangreiche Dokumentationspflichten vor. Schon angesichts sehr langer Wartezeiten bei den Prüfstellen sei für etliche Betriebe der Aufwand so hoch, dass sie es vorzögen, manche Waren vom Markt zu nehmen.

CEO Joachim Gemmel_c_Asklepios
Asklepios-CEO Joachim Gemmel fordert im Gesundheitsbereich unter anderem eine radikale Entbürokratisierung.

Langwierige Nachweispflichten belasten auch die Krankenhäuser. „In Altona, einem Haus mit 1700 Beschäftigten, arbeiten pro Jahr knapp 100 Ärzte und 300 Pflegekräfte ausschließlich für Dokumentation“, schildert Joachim Gemmel die Lage bei Asklepios.

Wie die Handelskammer fordert der CEO daher eine „radikale Entbürokratisierung“ – und kritisiert etwa die Personalnachweisregeln: „In allen Bereichen müssen wir permanent dokumentieren, welcher Mitarbeiter mit welcher Qualifikation was zur Behandlung beigetragen hat. Wenn irgendwo in der Dokumentation ein Kreuzchen fehlt oder eine Qualifikation nicht richtig vorhanden war, dann wird die Behandlung nicht finanziert.“

Investitionsoffensive gefordert

Die wirtschaftliche Lage der Krankenhäuser ist dramatisch, erklärt das neue Positionspapier der Handelskammer. Laut der Hamburgischen Krankenhausgesellschaft habe deren Unterfinanzierung „allein in den Jahren 2022 und 2023 insgesamt 10 Milliarden Euro“ betragen. Und bei der Investitionsfinanzierung, für die die Bundesländer zuständig sind, fehlten in Hamburg jedes Jahr rund 65 Millionen Euro. Ein Betrag, den die Krankenhäuser selbst erwirtschaften müssen – oder sie widmen Gelder aus der Patientenversorgung um.

Wir bekommen die Leistungen nicht bezahlt, die wir erbringen.

Joachim Gemmel

„Was im Rahmen der Krankenhausreform nicht funktioniert, ist die Finanzierung“, beklagt auch Joachim Gemmel. Und das gelte ebenso für das operative Geschäft: Die neue Vorhaltepauschale, die 60 Prozent des Budgets finanziert, berücksichtige das reale Behandlungsaufkommen nicht genug. „Wenn wir 100 Geburten pro Jahr machen, dann bekommen wir die gleiche Vorhaltevergütung wie bei 119 oder 81 Geburten. Ökonomisch müsste ich sagen, ich mache nur 81 Geburten, und die anderen schicke ich weg.“

Vor dem Hintergrund von Investitionsstau, maroden Gebäuden und Aktenbergen fordert die Handelskammer daher eine „Investitionsoffensive für Infrastruktur, Digitalisierung und Resilienz“. Eine bessere Erfassung, Vernetzung und Nutzung von Gesundheitsdaten biete große Chancen etwa für die Diagnostik oder die Reaktion in Notfällen, sei essenziell für wettbewerbsfähige Forschung und könne Arbeitszeit sparen.

Wie Kammer-Hauptgeschäftsführer Dr. Malte Heyne betont, müssten dabei auch der Schutz des Gesundheitswesens vor Cyberattacken und hybriden Bedrohungen sowie das Schaffen ausreichender Kapazitäten für die etwaige Versorgung von Verletzten im Kriegsfall berücksichtigt werden.

Gesundheitsstadt Hamburg Laut den Statistischen Ämtern beschäftigte die Hamburger Gesundheitsbranche im Jahr 2024 186 700 Menschen, also 13,7 Prozent der insgesamt 1 362 300 Erwerbstätigen der Hansestadt. Mit 15,6 Milliarden Euro Bruttowertschöpfung erbrachte sie 10,3 Prozent der Hamburger Wirtschaftsleistung. Wie eine neue Studie des WifOR Institute ermittelte, wuchs der Sektor von 2014 bis 2023 um 5,2 Prozent jährlich (Hamburger Gesamtwirtschaft: 4,4 Prozent).

Kräfte bündeln

Eine „stärkere Vernetzung und strukturelle Klarheit“ sei, so Heyne, auch in der Politik erforderlich. Während die zahlreichen Branchen der Gesundheitswirtschaft eng zusammenarbeiten, ist die politische Zuständigkeit auf die Sozial-, Wirtschafts- und Wissenschaftsbehörde aufgeteilt – was für manche Betriebe „eine operative Hürde“ darstellt. Wichtig wäre „eine enge, verzahnte Abstimmung“ – auch um Innovationpotenziale zu heben. Schließlich sei die Branche ein wesentlicher Treiber für Zukunftstechnologien, wie etwa das Forschungszentrum DESY zeige, wo BioNTech seine mRNA-Impfstoffe entwickelt hat.

Gefordert sei zudem die Stärkung der Zusammenarbeit in Norddeutschland, schließlich kämen rund ein Drittel der Patienten aus dem Umland. In der Kombination von Reha-Einrichtungen auf dem Land und spezialisierten Kliniken in der Stadt sieht das Positionspapier ideale Voraussetzungen für eine abgestimmte Versorgung.

Daneben gilt es, so die Handelskammer, die strenge Trennung von ambulanter und stationärer Pflege aufzuheben. Beste Chancen für eine patientenzentrierte, sektorenübergreifende Versorgung böten die Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) mit ihrer Kompetenzbündelung. Ein MVZ-Netzwerk könne als „One-Stop-Shop“ für alle Gesundheitsfragen fungieren – und gegebenenfalls ins Krankenhaus weiterleiten.

Fachkräfte Laut aktuellen Schätzungen des WifOR-Institute werden im Jahr 2030 in Hamburg rund 5700 Personen im Bereich der Gesundheits- und Krankenpflege, der Geburtenhilfe und des Rettungsdienstes fehlen sowie etwa 3400 in der Langzeitpflege.

Im Gegensatz zur Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg, die unter anderem vor einer örtlich dominierenden Stellung großer, nicht ans Gemeinwohl gebundener Konzerne warnt, unterstreicht das handelskammer-Papier die Vorteile einer Trennung von Inhaberschaft und medizinischer Ebene: Eine übergreifende Verwaltung entlaste die angestellte Ärzteschaft von Bürokratie und finanziellem Risiko und ermögliche zum Beispiel auch Teilzeitmodelle.

Wachstumstreiber, Job- und Innovationsmotor, aber auch Voraussetzung für gute Lebensbedingungen: Die Hamburger Gesundheitswirtschaft ist ein essenzieller Faktor in unserer Stadt. Und dass sich 2025 rund 5000 junge Menschen bei Asklepios für eine Pflege-Ausbildung beworben haben, lässt hoffen.


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