Ehrbare Kaufleute: Für Hamburg ist das seit Jahrhunderten mehr als nur ein Begriff aus Hansezeiten. Er steht für Verlässlichkeit und Charakterstärke, für Rechtschaffenheit und Vertragstreue. Für ein berufliches Wertegerüst also, dessen Leitprinzipien auf Fairness beruhen – und für eine Verpflichtung. Fairness, insbesondere gegenüber den produzierenden Menschen am Anfang der globalen Lieferketten, ist auch die Leitidee der „Fair Trade Stadt Hamburg“ – ein Titel, den sie seit Mai 2011 trägt. Um dies weiterzuentwickeln, startete im Herbst 2021 die Kampagne „Hamburg, mach dich Fair!“ mit finanzieller Unterstützung der Bürgerschaft. Einige Unternehmen unterschiedlicher Größe wie Tchibo, das Restaurant Wilhelms im Wälderhaus, die Weltläden oder das Reformhaus Engelhardt haben sich ihr bereits angeschlossen.
Haltung sorgt für Reputation
Dabei hat sich in Bezug auf Fairen Handel in den vergangenen Jahren bereits einiges geändert: 63 Jahre, nachdem sich die niederländische Stiftung Fairtrade Original (früher: S.O.S.) dafür einsetzte, die teils katastrophalen Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen im Globalen Süden zu verbessern, gilt Haltung nicht mehr nur als Kostenfaktor. Haltung sorgt für etwas, das in Zeiten von Social Media rapide an Wert gewinnt und damit Umsätze generiert: Reputation. Ein Begriff, der mit dem Wort „Respekt“ nicht nur die ersten zwei Buchstaben teilt, sondern das Wesen einer Ressource, die den verkaufsschädigenden Ruf der Jutebeutel längst hinter sich gelassen hat.
Wenn fair gehandelte Waren noch als wohltätiges „Nice to have“ gelten – moralisch gut, aber betriebswirtschaftlich unwichtig –, wird Nicole Fabisch, Professorin für Marketing & Nachhaltigkeitsmanagement an der International School of Management (ISM), daher „ein bisschen sauer“. Denn die Einhaltung sozialer Mindeststandards ist neben der moralischen Verpflichtung ein klarer Marketingfaktor – und wird für die Kundschaft zunehmend wichtiger. Auch wenn der Marktanteil von Fair-Trade-Waren bislang nur ein Prozent beträgt, ist er in den vergangenen Jahren fast kontinuierlich gestiegen. Und das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) schreibt im Übrigen Unternehmen ab 2023 menschenrechtliche Sorgfaltspflichten vor.
Ein Hamburger Vorreiter der ersten Stunde ist die in Altona ansässige Süd-Nord Kontor GmbH. Seifen, Leder, Kaffee – alles auf gut 1500 Quadratmetern Ladenfläche stammt aus Fairem Handel, alles an der Stresemannstraße gewichtet Verantwortung höher als Profit, alles verströmt so den süßen Duft von Wertschätzung und Handwerk, Empathie und Ethos. Ein Bouquet aus Naturaromen und Schokolade, das bis in Christine Prießners Büro ein Stockwerk höher zieht, wo die Nachhaltigkeitswissenschaftlerin fördert, was ein Stockwerk tiefer zu kaufen ist.
Im Siegel-Dschungel
Vor elf Jahren hat Prießners Verein „Mobile Bildung“ die „Fair Trade Stadt Hamburg“ mit Unterstützung der Stadt Hamburg initiiert. Seit 2013 von Bund und Land finanziert, fördert die Projektstelle, was am Anfang der Lieferkette für Ausgleich sorgt, ohne an deren Ende Ladenhüter herzustellen oder, aus Prießners Sicht noch schlimmer, „Fairwashing“ zu betreiben – also schönfärberisches Reinwaschen ohne ausreichende konkrete Aktion. Im Gegensatz zu „bio“ seien Begriffe wie „klimaneutral“ oder „fair“ ja nicht geschützt, beklagt die Fachpromotorin den Dschungel diverser Siegel. Um ihn zu lichten, fördert sie lokale Informationskampagnen wie zum Beispiel „Fairer Stadtplan“ oder „Hamburg, mach dich Fair!“ – und natürlich den Hochschulwettbewerb „Hamburg! Handelt! Fair!“.
Wer Christine Prießner davon schwärmen hört, merkt sofort, dass dies ihr aktuelles Lieblingsprojekt ist: Bislang 29 Unternehmen der Metropolregion – vom lokalen Goldschmied Jan Spille bis hin zum überregionalen Drogeriemarkt Budnikowsky – haben darin mithilfe von insgesamt 653 Studierenden zehn lokaler Universitäten ihre Kommunikationskonzepte verbessert. „Wir wollen mit dem Hochschulwettbewerb sowohl den Fairen Handel unserer Handelsstadt als auch die Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Wissenschaft unterstützen“, erklärt Katharina Keienburg von der Innovations Kontakt Stelle (IKS) Hamburg, die gemeinsam mit Christine Prießner den Wettbewerb organisiert. Diesen Winter wurde die runamics GmbH zum siebten Sieger gekürt. Für Nicole Fabisch, deren ISM-Fachbereich „Strategisches Marketing“ beim Wettbewerb mit dem Stellinger Textilhersteller kooperierte, „ein echter Glücksgriff“.
Hier gibt es sehr engagierte Menschen, die sich für den Fairen Handel stark machen und viel bewegt haben.
Nicole Fabisch
Das insgesamt vierköpfige runamics-Führungsteam um Steffen Otten lässt seine Sportkleidung „Cradle to Cradle“ produzieren, also vom Material bis zur Entsorgung ökologisch. Da die fünfte Säule nachhaltiger Wertschöpfungsketten neben Energie- und Wasserverbrauch, Materialeinsatz und Kreislaufwirtschaft jedoch sozialer Art sei, „wollten wir auch beim Fair Trade über Minimalstandards hinausgehen“, sagt der CEO. Das individuelle und umsetzungsstarke Konzept der ISM-Studierenden, deren Ergebnisse die Gründer gleich am Tag nach der Präsentation in die Praxis überführten, überzeugte auch die zehnköpfige Jury. So setzte sich runamics gegen die Mitstreiter el rojito, Hinz&Kunzt gGmbH und Mount Hagen von der WERTFORM GmbH durch.
Wichtiger als Ruhm und Erkenntnis aber sei ihm, so Steffen Otten, „ein Bewusstsein für Nachhaltigkeit, das so ein Preis erzeugt“ – insbesondere am „historischen Handelsplatz Hamburg“, der „beste Vernetzungsmöglichkeiten“ bietet. Obwohl nachhaltiges Wachstum laut dem Frankfurter Zukunftsinstitut auf einer Mischung aus Ökonomie, Ökologie und Engagement beruht, obwohl moralischer Konsum in Zeiten von „Fridays for Future“ und „Sinnfluencern“ mehr ist als ein Feigenblatt, obwohl besonders die urbane Schicht der LOHAS („Lifestyle of Health and Sustainability“) einen nachhaltigen Lebensstil pflegt und besonderen Wert auf Gesundheit, Umwelt und Soziales legt, gibt es noch viel zu tun.
„Hier gibt es sehr engagierte Menschen, die sich für den Fairen Handel stark machen und viel bewegt haben“, meint Nicole Fabisch. Dennoch wisse kaum jemand, dass Hamburg „Fair Trade Stadt“ sei und was es damit auf sich habe. „Da ist Luft nach oben“, fügt sie hinzu und empfiehlt Aufsteller an Autobahnen oder Bahnhöfen, die darauf hinweisen.
Fair Trade gegen Fachkräftemangel
Das, betont Maret König vom Work-Wear-Entwickler Brands Fashion aus Buchholz, sei dann auch fürs Employer Branding, also die Attraktivität als Arbeitgeber, wichtig. „Viele Menschen suchen ihre Arbeitgeber mittlerweile nach diesen Kriterien aus“, sagt die Nachhaltigkeitsbeauftragte in der Interview-Reihe „Sarah will’s wissen“ der Fair-Trade-Kampagne. Der Faire Handel wäre damit zudem ein Mittel gegen den Fachkräftemangel. Auch deshalb fordert Christine Prießner den Schulterschluss zwischen Handels- und Gastronomieverbänden, Unternehmen und Kammern. Damit mehr Kaufleute, sozial engagierte Geschäftsleute und andere Akteurinnen und Akteure nicht nur Reputation und Respekt steigern, sondern auch Umsatz und Gewinne auf nachhaltigem Niveau halten können.
Hochschulwettbewerb
Seit 2015 veranstalten Innovations Kontakt Stelle (IKS) Hamburg und „Fair Trade Stadt Hamburg“ unter der rotierenden Schirmherrschaft von Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank und Wirtschaftssenator Michael Westhagemann gemeinsam den Hochschulwettbewerb „Hamburg! Handelt! Fair!“. Teilnehmen können alle Unternehmen der Metropolregion, die fair handeln oder daran interessiert sind. Bewerbungen können auch per E-Mail an Katharina Keienburg von der Innovations Kontakt Stelle (IKS) Hamburg gerichtet werden.
Gütesiegel
Der Begriff „Fairer Handel“ ist rechtlich nicht geschützt. Für Orientierung und Sicherheit sorgen aber anerkannte Siegel und Marken. Die Seite www.labelchecker.de versucht, den Dschungel diverser Gütesiegel zu lichten. Auch www.forum-fairer-handel.de bietet einen Überblick.