Von Lena Johanna Philippi, 4. Dezember 2023 (HW 6/2023)
Wenn etwa eine angehende Chemielaborantin mit Taschen voller Pipetten vor einer neugierigen Schulklasse wissenschaftliche Versuche mit Aha-Effekt vorführt, ein künftiger Baustoffhändler von den Vorzügen feinkörniger Kieselarten erzählt oder eine Drogistin in spe erklärt, welche Inhaltsstoffe in duftenden Duschgelen enthalten sind, sind junge Menschen unterwegs, die genau wissen, wovon sie sprechen.
Workshop
Betriebe, die ihre Azubis als Ausbildungsbotschafter:innen einsetzen wollen, können diese für eine zweitägige Schulung anmelden.
Seit vergangenem Herbst werben sogenannte „Ausbildungsbotschafter“ und „Ausbildungsbotschafterinnen“ in Schulen für eine besonders attraktive Berufslaufbahn: die duale Ausbildung. „Ziel ist es, mehr junge Menschen für diesen Berufsweg zu begeistern“, sagt Kerstin Lochmann. Sie ist eine von vier Orientierungsmanagerinnen und -managern, die für die Handelskammer das neue Leuchtturmprojekt der Bildungsplattform für Lebenslanges Lernen organisieren und begleiten.
Dass Auszubildende ihre persönlichen Erfahrungen aus dem Alltag direkt in die Klassenzimmer tragen, hält Lochmann für die ideale Lösung: „Die meisten jungen Menschen wissen oft gar nicht, was man alles lernen kann.“ Die neuen Orientierungsmanagerinnen und -manager leisten einen wichtigen Beitrag, denn wie die Ende 2022 vorgestellte Fachkräftestrategie der Handelskammer verdeutlicht, ist eine praxisnahe Berufsorientierung in der Schule essenziell.
330 staatliche Ausbildungsberufe gibt es, da müsste eigentlich für jeden etwas dabei sein. Dennoch suchen viele Firmen weiterhin nach qualifiziertem Nachwuchs. Ende September meldete die Agentur für Arbeit Hamburg 1012 freie Ausbildungsplätze. Auch die Online-Lehrstellenbörse der Handelskammer rief im Herbst rund 1500 offene Stellen auf. Dass Lehrstellen oft unbesetzt bleiben, ist nicht neu. Zuletzt hat sich der Trend sogar noch verstärkt. Nach Einschätzung des Handelskammer-Fachkräftemonitors könnten bis zum Jahr 2035 rund 133 000 Fachkräfte in Hamburg fehlen.
„Ein Grund, warum viele Ausbildungsplätze unbesetzt bleiben, ist, dass während der Corona-Pandemie keine Schülerpraktika möglich waren“, sagt Orientierungsmanagerin Kerstin Lochmann. Jugendliche konnten so weder Betriebe persönlich kennenlernen noch herausfinden, welche Stärken und Interessen sie haben. Zudem würden sich immer noch viele junge Leute für ein Studium statt für eine Berufsausbildung entscheiden.
Bildungskonferenz
Das „Lifelong Learning Festival“ der irischen Stadt Cork, bei dem eine Woche lang Hunderte Lernveranstaltungen in den Bildungseinrichtungen angeboten werden, könnte Hamburg als Beispiel dienen, wie die Themen Lernen, Bildung und Qualifizierung stärker verankert werden. Zu diesem Schluss kamen rund 80 Fachleute aus Unternehmen, Behörden und Institutionen, die zusammen mit Bildungssenator Ties Rabe bei der Konferenz „Berufliche Qualifizierung – Motor der Fachkräftesicherung“ über die Frage diskutierten, wie sich der Fachkräftemangel durch Aus- und Weiterbildung bekämpfen lässt.
Lochmann selbst hat eine duale Ausbildung absolviert und lange in der Systemgastronomie gearbeitet, bildete dort auch Nachwuchskräfte aus. Im vergangenen Frühjahr bewarb sie sich auf die von der Handelskammer ausgeschriebene Stelle als Orientierungsmanagerin. Seither hat ihr Team 200 Hamburger Gymnasien, Stadtteil- und Berufsschulen angeschrieben, um auf das Projekt aufmerksam zu machen.
Mit Erfolg. Von den Bildungseinrichtungen, so Lochmann, gebe es positives Feedback – viele Schulen wollen die Ausbildungsbotschafterinnen und -botschafter zu sich einladen. 2024 soll deshalb nicht nur dieses Projekt intensiviert, sondern auch ein weiteres gestartet werden: die Praktikumsoffensive. Mit ihr sollen junge Menschen ab 15 Jahren die Möglichkeit bekommen, in den Hamburger Sommerferien verschiedene Unternehmen aus den Branchen Handel, Industrie und Dienstleistungen jeweils einen Tag lang zu besuchen. So können die Jugendlichen binnen einer Praktikumswoche gleich fünf Betriebe und Branchen kennenlernen.
Die Handelskammer will für dieses Projekt gezielt auch Firmen begeistern, die bislang überhaupt noch keine Praktika anbieten. Damit soll der Pool an Praktikumsplätzen in der Hansestadt vergrößert werden. Auf einer Online-Plattform finden die Jugendlichen und die Unternehmen anhand verschiedener Filteroptionen wie Branche und Praktikumszeitraum zusammen. „Das Positive daran ist, dass es sich um freiwillige Praktika und nicht um Pflichtpraktika handelt“, sagt Fin Mohaupt, Leiter des Handelskammer-Teams „Schule und Wirtschaft“. „Die Schüler gehen also aus eigenem Antrieb in die Unternehmen und werden deshalb besonders motiviert sein.“
Mobiles Ausbilden
Mobiles Arbeiten ist seit Corona fester Bestandteil der Arbeitskultur. Nun ist auch das mobile Ausbilden als ergänzender Baustein zur betrieblichen Ausbildung möglich: Die Azubis müssen eine bestimmte Anzahl von Tagen im Betrieb anwesend sein, die anderen Tage können sie von zu Hause arbeiten. Das Ganze basiert auf doppelter Freiwilligkeit. Die ausbildenden Betriebe müssen mit den Rahmenbedingungen ebenso einverstanden sein wie die Azubis. Das Konzept bietet den Auszubildenden eine zusätzliche Perspektive, insbesondere wenn ihr Lebensmittelpunkt weiter von der Ausbildungsstätte entfernt liegt.
Die Initiativen der Handelskammer zeigen sehr deutlich: Die Aussichten, das Problem unbesetzter Ausbildungsplätze zu bewältigen, sind alles andere als trübe. Dazu gehören neben dem Ausbildungsbotschafter-Projekt, der Praktikumsoffensive und dem neuen Projekt „MIM“ („Mädchen in MINT-Berufe“), mit dem der Fachkräftemangel im MINT-Bereich (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik) durch verstärkte Ansprache von Schülerinnen und Frauen bekämpft werden soll, auch zahlreiche bewährte Formate wie etwa das jährliche „Azubi-Speeddating“. Die „Hanseatische Lehrstellenbörse“, bei der sich jedes Jahr bis zu 10 000 Schülerinnen und Schüler in den Börsensälen der Handelskammer mit Unternehmen treffen, zählt zweifelsohne zu den Flaggschiffen im Bereich der Berufsbildung.
Ebenso die „Hamburger Bestenehrung“, bei der die besten Prüflinge der vergangenen Winter- und Sommerprüfungen und ihre Betriebe für ihre besonderen Leistungen ausgezeichnet und mit Urkunden belohnt werden. 2024 soll dieses Format ausgebaut werden. Geplant ist, dann nicht mehr nur die Azubis in den Blick zu nehmen, sondern auch die besten Absolventen von Weiterbildungen, wie sie etwa die HKBiS Handelskammer Hamburg Bildungs-Service gemeinnützige GmbH anbietet.
Problemlöser könnte schließlich auch die erste gemeinsame bundesweite Initiative aller Industrie- und Handelskammern sein. „Jetzt #könnenlernen“ ist eine Einladung an alle Schülerinnen und Schüler, das Lebensgefühl Ausbildung zu entdecken – mithilfe von Ausbildungsbotschaftern und Ausbildungsbotschafterinnen, Praktika und der Entscheidung für die richtige Ausbildung. „Wer sich jetzt für eine duale Berufsausbildung entscheidet, legt den Grundstein, auf dem eine erfolgreiche Karriere aufgebaut werden kann“, sagt Handelskammer-Präses Prof. Norbert Aust.
Neuer Ausbildungsberuf
Seit August 2023 haben Interessierte die Möglichkeit, einen ganz neuen Ausbildungsberuf zu erlernen: „Gestalter/-in für immersive Medien“. In Hamburg gibt es diesbezüglich einen großen Markt, weshalb sich die Handelskammer dafür stark gemacht hat, diesen Beruf deutschlandweit einzuführen. Die duale Ausbildung dauert drei Jahre. Die Azubis lernen virtuelle 3D-Welten und 360-Grad-Videos zu produzieren. Nach ihrem Abschluss steht einer Karriere bei Broadcasting-Unternehmen, Werbeagenturen, in der Games-Branche oder in Unternehmen mit großen Marketing- und Werbebudgets nichts im Wege.