Zum Einkaufen geht Kay Gätgens ins „Dorf“. Im Stadtteil Schnelsen, wo er wohnt, ist das die Frohmestraße. Und der Geschäftsführer der Stadtentwicklungsgesellschaft IBA Hamburg ist überzeugt, dass solche „identitätsstiftenden Anker“ auch für neue Quartiere wichtig sind, wie sie die HW in der Vergangenheit bereits vorgestellt hat: Orte, zu denen „man gerne hingeht, alle Angebote hat und alles zu Fuß oder mit dem Fahrrad machen kann“. Wie in Zukunft in Oberbillwerder, dem geplanten 105. Hamburger Stadtteil im Bezirk Bergedorf, in dem unter Federführung der IBA bis zu 7000 Wohnungen und 5000 Arbeitsplätze entstehen sollen.
Der Bebauungsplan soll laut Gätgens 2024 fertig sein: „Dann haben wir die Vorweggenehmigungsreife und als IBA Hamburg die Möglichkeit, technische Erschließungsmaßnahmen mit Baustraßen anzufangen und in die Ausschreibung für die Grundstücke zu gehen.“ Als Baustart für die ersten Gebäude hält IBA-Projektkoordinator Christian Faber „leider erst Ende 2027“ für realistisch. Zuvor müsse auf dem Marschland „ganz viel Sand aufgeschüttet werden“ – und sich setzen. Parallel sind wasserrechtliche Planfeststellungsverfahren auch zum Naturschutz notwendig. „Dann beginnt man mit der Infrastruktur“, so Faber: unter anderem erste Straßen und Parks bauen sowie Leitungen verlegen.
Planung für die Zukunft
Oberbillwerder ist auf 118 Hektar Fläche konzipiert und soll fünf neue, sehr unterschiedliche Quartiere umfassen. Während im Bahn-Quartier, so die Planung, hochverdichtete Bebauung und eine starke Nutzungsmischung mit Gastronomie und Einzelhandel dominieren, sind fürs Blaue Quartier Einfamilienhäuser an kleinen Kanälen vorgesehen, und das Garten-Quartier soll den Übergang zu Grünland gewährleisten. Entsprechend divers wird die Bevölkerung: „Wir haben einen hohen Anteil an Baugemeinschaften, in denen sich Haushalte unterschiedlichen Alters und verschiedener Herkunft zusammenschließen, auch mit künstlerischem oder ökologischem Schwerpunkt“, hebt Kay Gätgens hervor.
Auch Freizeit und Bildung kommen nicht zu kurz. Das Grüne Quartier erhält ein Bildungs- und Begegnungszentrum sowie einen Aktivitätspark mit Sportanlagen. Hier soll künftig zudem der neue Gesundheitscampus der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW) Platz für knapp 5000 Studierende und rund 400 Beschäftigte bieten. Die HAW-Fakultät der Life Sciences zieht nach Oberbillwerder um, als Baubeginn erscheint 2027/28 realistisch. Die Nahtstelle zwischen dem Park und Bergedorf-West bildet schließlich das Park-Quartier.
„Herz“ der fünf Quartiere, erklärt Gätgens, sei jeweils ein zentraler Quartiersplatz, an den „Mobility Hubs“ mit Parkplätzen für Privatautos sowie Gewerbefahrzeuge und Umstiegsmöglichkeiten auf Fahrrad, E-Bike, ÖPNV andocken. Hinzu kommen Paketstationen, Einzelhandel, kulturelle und soziale Angebote.
Reicht das, um Oberbillwerder zu einem beliebten Wohnviertel wie Eimsbüttel mit Strahlkraft über Hamburg hinaus zu machen? „Man muss sich davon befreien, dass wir einen Satelliten in die Landschaft stellen“, betont Kay Gätgens, der Architektur und Stadtplanung studiert hat und bis zum Jahreswechsel Bezirksamtsleiter für 270 000 Menschen in Eimsbüttel war. Hamburg ziehe Leute an, „die gerne citynah wohnen und hier in rund 15 Minuten mit der S-Bahn die Innenstadt erreichen können“. Oberbillwerder solle ein „nachhaltiger und lebenswerter Stadtteil“ werden, „der gleichzeitig bezahlbaren Wohnraum bietet“.
Neues Leben in Altonas Mitte
Was im Hamburger Osten noch Vision ist, kann im Westen bereits besichtigt werden. Auf dem Gelände des ehemaligen Güterbahnhofes in Altona sind im ersten Bauabschnitt bis Ende 2023 auf circa 13 Hektar 1600 neue innerstädtische Wohnungen entstanden. Nach dem sogenannten „Drittelmix“ splittet sich das neue Quartier Mitte Altona in Sozial-, frei finanzierte Miet- und Eigentumswohnungen. Rund 20 Prozent der Wohnungsflächen sind für Baugemeinschaften reserviert – darunter etwa das Projekt BliSS, in dem blinde, seheingeschränkte und sehende Menschen gemeinsam wohnen. Denn Inklusion zählt neben Nachbarschaftsbildung und zukunftsweisender Mobilität zu den Schwerpunktthemen in Mitte Altona.
Ausschuss für Stadtentwicklung
Die Handelskammer tritt für nachhaltiges Wachstum in Hamburg und der Metropolregion ein und hat dabei Wertschöpfung, Bevölkerung und Lebensqualität gleichermaßen im Blick. Der Ausschuss für Stadtentwicklung berät bis zu viermal im Jahr konkrete Konzepte für die Quartiers- und Stadtentwicklung in allen Hamburger Bezirken. Auf dieser Grundlage erarbeitet die Kammer Stellungnahmen zu städtischen Planungen. Kontakt: Jan-Oliver Siebrand, 36138-431. Einen Überblick über aktuelle Stadtentwicklungsprojekte finden Sie hier.
Einzelhandel, Gastronomie, Büros, drei Quartiersplätze und vier Kitas sind bereits vorhanden, und nach den Sommerferien soll eine Stadtteilschule den Betrieb aufnehmen. Zudem gibt es seit 2019 einen wachsenden zentralen Park, der beim Deutschen Landschaftsarchitektur-Preis 2021 in der Kategorie „Wohnumfeld“ ausgezeichnet wurde. Er umfasst unter anderem Sonnenstufen und einen Hallengarten, der unter einem historischen Stahlgerüst frühere Gleisfelder als Beete nutzt. Im denkmalgeschützten Gebäude der Kleiderkasse, in dem vormals Bahn-Mitarbeitende eingekleidet wurden, befinden sich jetzt ein Coworking-Zentrum sowie ein Gastronomiebetrieb mit Außenterrasse.
„Verdichtung wird oft nachteilig gesehen, aber der Quartierspark Mitte Altona zeigt, dass umliegende Quartiere wie Altona-Nord profitieren“, meint Christoph Färber, Referent für Stadtentwicklung bei der Handelskammer, der die Wirtschaft als Nutznießer „von neuen Einwohnern in einem lebendigen Stück Stadt“ sieht. Dabei ist die Entwicklung im Siedlungszusammenhang oft schwieriger als auf der grünen Wiese – und in Altona ist sie noch nicht abgeschlossen: Nach der für 2027 geplanten Verlegung des Fern- und Regionalbahnhofes Altona nach Diebsteich stehen nochmals circa 16 Hektar auf dem frei werdenden Gleisfeld zur Verfügung. Dort soll ab 2030 der zweite Bauabschnitt mit 1900 Wohnungen realisiert werden: ein weiterer Ort, der vielen Menschen zur Heimat werden könnte – zu einem Ankerpunkt mit Dorfcharakter, an dem das im Alltag Wichtige ganz nah liegt.