Ist die digitale Transformation nachhaltig?

Digitalisierung kann dazu beitragen, Wirtschaft und Gesellschaft nachhaltiger zu machen. Aber ein Selbstläufer ist diese Entwicklung nicht.
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Digitalisierung und Nachhaltigkeit schließen sich keinesfalls aus, sondern ergänzen sich sogar, sofern die Voraussetzungen stimmen. Potenzial bietet die sogenannte „Twin Transformation“ oder „Zwillingstransformation“, bei der es darum geht, die nachhaltige mit der digitalen Transformation gezielt zu verknüpfen, um Synergien erfolgreich zu nutzen.

Von Katrin Meyer, 18. Oktober 2024

Die zweite Hamburger Zukunfts-Konferenz der Universitäts-Gesellschaft Hamburg (UGH) findet am 11. November von 9 bis 18:30 Uhr in der Handelskammer statt. Das Thema lautet „Twin Transformation“. Die Veranstaltung vernetzt die wichtigsten Stakeholder der Wissens- und Wirtschaftsmetropole, um herausragende Forschungsergebnisse direkt in nachhaltige wirtschaftliche Innovationen umzusetzen. Auf den Panels rund um Nachhaltigkeit, Digitalisierung und KI diskutieren hochkarätige Fachleute. Preis pro Konferenzticket: 100 Euro. Zur Anmeldung geht es hier.

Klimakrise, Ressourcenknappheit, soziale Ungleichheiten – die Gesellschaft steht vor globalen Herausforderungen. Zugleich treiben digitale Technologien wie Künstliche Intelligenz (KI) den Wandel in allen Lebensbereichen voran. Wie können Digitalisierung und Nachhaltigkeit Hand in Hand gehen, sodass wir eine Chance haben, die Krisen zu bewältigen? Potenzial bietet die sogenannte „Twin Transformation“ oder „Zwillingstransformation“: die gezielte Verknüpfung der nachhaltigen mit der digitalen Transformation, um Synergien erfolgreich zu nutzen.

Prof. Laura Marie Edinger-Schons forscht an der Universität Hamburg zu nachhaltigem Wirtschaften und treibt als Chief Sustainable Officer die Nachhaltigkeitsstrategie der Exzellenzuniversität voran. Sie ist von dem Potenzial der Twin Transformation überzeugt. „Wissenschaft und Wirtschaft müssen hier ganz eng zusammenarbeiten“, sagt sie. Wichtig sei, dass Unternehmen die Nachhaltigkeit messbar machen und kulturell wie strukturell in ihrem Betrieb verankern – dann können die positiven Effekte der Digitalisierung maximiert werden.

Die Universitäts-Gesellschaft Hamburg (UGH) unterstützt das Konzept der Twin Transformation der Universität nachdrücklich, da es im Dialog zwischen Wissenschaft und Wirtschaft ein sehr wichtiges Thema ist. Daher ist die Zwillingstransformation auch Leitthema bei der zweiten Hamburger Zukunfts-Konferenz der UGH. Diese findet am 11. November in der Handelskammer statt. Auf einem der Panels diskutieren Vertreter von Wirtschaft und Wissenschaft, ob und wie nachhaltig die digitale Transformation ist.

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Chris Esfandiari/UHH
Prof. Dr. Laura Marie Edinger-Schons forscht an der Universität Hamburg zu nachhaltigem Wirtschaften und treibt als Chief Sustainable Officer die Nachhaltigkeitsstrategie der Exzellenzuniversität voran.

„Nachhaltigkeit ist für Hamburgs Unternehmen bedeutsam – über alle Branchen hinweg und für ihre Wettbewerbsfähigkeit“, sagt Dr. Miriam Putz, Leiterin des Handelskammer-Bereiches „Innovation und Neue Märkte“. Digitalisierung werde zu ökologisch verträglicheren und damit ökonomisch vorteilhaften Lösungen führen. Das zeigten beispielsweise die Entwicklungen in der Baubranche. „Infrastrukturvorhaben oder Gebäude werden als digitaler Zwilling virtuell nachgebaut und als digitales Modell abgebildet“, erklärt Putz. Auf diese Weise könnten Einsparungen bei Baustoffen oder dem Energieverbrauch simuliert und anschließend umgesetzt werden.

Auch Beiersdorf setzt auf Digitalisierung und KI, um Innovationen zu fördern und Nachhaltigkeit zu forcieren. „Basis dafür ist immer die Datenerhebung“, sagt Corina Kurscheid, die als Global Vice President für Nachhaltigkeit der Marke Nivea zuständig ist. Ohne Messungen ließen sich Unternehmensziele nicht verfolgen und Szenarien nicht kalkulieren. „Datengestützte Simulationen und Reportings treiben die Nachhaltigkeitsentwicklung in Unternehmen voran, sowohl bei Ressourceneffizienz als auch bei Lieferketten“, so Kurscheid. Laura Marie Edinger-Schons ergänzt aus Sicht der Wissenschaft: „Für Transparenz und evidenzbasiertes Management ist die Verfügbarkeit von Daten elementar.“

Kann KI denken? Hilft KI den Patienten? Können Fachkräfte und KI zusammenarbeiten? Und was macht eine erfolgreiche Gründungspersönlichkeit aus? Anlässlich der zweiten Hamburger Zukunfts-Konferenz befasst sich HW Online in den kommenden Wochen im Rahmen einer Serie mit diesen und weiteren Fragen.

Damit sich Nachhaltigkeit und Digitalisierung positiv beeinflussen, kann ein smarter rechtlicher Rahmen gute Anreize setzen, ist der Rechtswissenschaftler Prof. Georg Ringe von der Universität Hamburg überzeugt. Sofern die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen ausschließlich digital erfolge, ließen sich sämtliche Daten sofort durch Algorithmen auswerten. „Dieses effektive Vorgehen kann die Steuerungswirkung von Nachhaltigkeitsregulierung erhöhen.“

Beiersdorf hat im vergangenen Jahr seine Net-Zero-Strategie vorgestellt. Bis 2045 will das Unternehmen 90 Prozent seiner Emissionen einsparen. Erste Zwischenziele wurden bereits erreicht und nachgeschärft. Zentrale Elemente auf dem Weg zur Netto-Null sind Produktinnovationen und Anpassungen im Portfolio, die Inhaltsstoffe und Verpackungen betreffen. Hier hilft KI, schnellere und effizientere Entwicklungen von Innovationen voranzutreiben.

Auch die Verwendung recycelter Materialien entlang der gesamten Wertschöpfungskette wird weiter ausgebaut. So sollen bis 2032 50 Prozent der ausgestoßenen Treibhausgase reduziert werden. „Wir bewegen uns in einem wichtigen und langfristigen Lernprozess“, sagt Corina Kurscheid. „Es gibt immer wieder Herausforderungen, die keiner hat kommen sehen. Wir alle lernen dabei, was in der Praxis wirklich funktioniert und was nicht.“

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Rausche/UHH
Prof. Georg Ringe von der Universität Hamburg ist davon überzeugt, dass ein smarter rechtlicher Rahmen gute Anreize setzen kann, damit sich Nachhaltigkeit und Digitalisierung positiv beeinflussen.

Im Gegensatz zu Großkonzernen sind Teile des Mittelstandes bei Künstlicher Intelligenz eher verhalten. Die Gründe seien nachvollziehbar, erläutertMiriam Putz. Das Alltagsgeschäft sei auslastend genug, zudem seien Akzeptanz und Know-how in der Belegschaft entscheidend. „Ich appelliere an diese KMU, einfach einmal etwas auszuprobieren. Es gibt so viel Einsparpotenzial für mehr Nachhaltigkeit in Unternehmen.“

Gerade erst im August wurde der „EU Artificial Intelligence (AI) Act“ verabschiedet, den die Mitgliedstaaten in den nächsten zwei Jahren in nationales Recht überführen müssen. Das Ziel: Die in der EU eingesetzten KI-Systeme sollen sicher, transparent, nachvollziehbar, nicht diskriminierend und umweltfreundlich sein.

Georg Ringe plädiert für die vermehrte Einführung eines isolierten Testumfeldes für Programme, die als „Regulatory Sandboxes“ auch im AI-Act Erwähnung finden. In diesen Reallaboren können Unternehmen neue KI-Technologien unter reduzierten Regulierungsanforderungen ausprobieren und entwickeln. „Das fördert Innovationen und kann den Regulierungsrahmen dynamisch anpassen.“

Digitalisierung ist kein Allheilmittel gegen die Klimakrise. Oft stehen bei der Anwendung von KI technologische Innovationen im Fokus, während Nachhaltigkeitsfragen in den Hintergrund rücken. Der erhöhte Ressourcenbedarf – neben Strom für die Rechenleistung auch Wasser zum Kühlen der Rechenzentren sowie seltene Erden – sollte den ökologischen Anforderungen angepasst werden. „Hier können angemessene Nachhaltigkeitsstandards Nebenfolgen neuer Technologien reduzieren“, konstatiert Georg Ringe.

„Forschung im Bereich der Twin Transformation ist essenziell, um die Nachhaltigkeit zu stärken“, betont Laura Marie Edinger-Schons. Die Wissenschaft könne nachhaltige Methoden für Innovationen entwickeln, die künftig in der Wirtschaft Anwendung finden. „So können wir gemeinsam die Wissenschafts- und Wirtschaftsmetropole Hamburg zukunftsfähig und nachhaltig gestalten.“


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