Kann KI denken?

Künstliche Intelligenz scheint überall zu sein. Aber was kann KI eigentlich? Denkt sie wie wir, oder hat sie ein größeres Gedächtnis?
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Kann KI denken? Das ist eine der Fragen, mit denen sich die zweite Hamburger Zukunfts-Konferenz im November befasst.

Von Katrin Meyer, 4. Oktober 2024

Die zweite Hamburger Zukunfts-Konferenz der Universitäts-Gesellschaft Hamburg (UGH) findet am 11. November von 9 bis 18:30 Uhr in der Handelskammer statt. Das Thema lautet „Twin Transformation“. Die Veranstaltung vernetzt die wichtigsten Stakeholder der Wissens- und Wirtschaftsmetropole, um herausragende Forschungsergebnisse direkt in nachhaltige wirtschaftliche Innovationen umzusetzen. Auf den Panels rund um Nachhaltigkeit, Digitalisierung und KI diskutieren hochkarätige Fachleute. Preis pro Konferenzticket: 100 Euro. Zur Anmeldung geht es hier.

In den vergangenen Jahren hat Künstliche Intelligenz (KI) viele unserer Lebensbereiche durchdrungen: Von der Analyse von Geschäftsprozessen über autonomes Fahren bis hin zu Übersetzungsassistenten. Doch wie funktioniert KI, und was kann sie? Diese Fragen stehen im Mittelpunkt eines Panels der zweiten Hamburger Zukunfts-Konferenz der Universitäts-Gesellschaft Hamburg (UGH), die am 11. November in der Handelskammer stattfindet.

„Zunächst muss man das menschliche Denken betrachten, um zu klären, ob Künstliche Intelligenz denken kann“, sagt Prof. Heinrich Graener, ehemaliger Dekan der MIN-Fakultät der Universität Hamburg. Diese Frage hatte erstmals der englische Mathematiker Alan Turing in seinem Artikel „Computing Machine and Intelligence“ aus dem Jahr 1950 aufgeworfen. Da Turing sie für sich nicht zufriedenstellend beantworten konnte, entwickelte er den sogenannten „Turing-Test“. Demzufolge kann eine Maschine als denkend betrachtet werden, wenn sie in einem Gespräch mit einem Menschen nicht von dieser Spezies zu unterscheiden ist. Seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts hat sich hier viel getan. Prof. Thomas Krödel vom Philosophischen Seminar der Universität Hamburg wählt als Ausgangspunkt eine sehr weite Definition vom Denken, das er als „sich in einem geistigen Zustand oder Vorgang zu befinden“ beschreibt.

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Martin Lukas Kim
Prof. Thomas Krödel vom Philosophischen Seminar der Universität Hamburg

Das reiche etwa vom Schmerzempfinden bis hin zur mathematischen Reflexion: „Die Spielarten des Denkens, die im Zusammenhang mit KI-Systemen besonders interessant erscheinen, sind geistige Zustände mit Bewusstsein und Zustände, die Intelligenz zeigen.“

Aber was genau unterscheidet menschliches Denken von maschineller, künstlich geschaffener Intelligenz? Denkt KI anders als der Mensch, weil sie über mehr Detailwissen verfügt? Dem will Prof. Heinrich Graener von der Konferenzleitung in der Zukunfts-Konferenz auf die Spur kommen.

„Maschinelles Lernen ist gut darin, häufige Muster zu erkennen und zu replizieren“, erklärt Prof. Chris Biemann. Er forscht am Fachbereich Informatik der Universität Hamburg zu generativer KI, genauer zu sogenannten „Large Language Models“.

Diese Modelle, zu denen auch ChatGPT oder Copilot gehören, sind auf Sprache trainiert und können Textarbeit leisten sowie Bilder, Videos oder Audios erzeugen. Dafür benötigen sie große Datenmengen, die sie analysieren. Sie lernen, indem sie statistische Muster und Verbindungen zwischen Wörtern und Satzteilen herstellen.

Interessant wird es, wenn die Datenbasis nicht ausreicht, um Sprachmodelle umfassend auf eine Aufgabe zu trainieren. „Bei neuen Situationen reagieren solche Systeme oftmals unvorhersehbar“, sagt Biemann. Sie sind dann fehleranfällig.

Diese Erfahrung hat auch Wiebke Nadzeika vom Start-up OneGuide gemacht, das eine KI-gestützte App für den Besuch von Städten und Sehenswürdigkeiten entwickelt hat. Personalisiert erhalten Nutzende auf Knopfdruck eine KI-generierte Audioführung an interessanten Orten. Bei den Inhalten für die Führungen habe die KI anfangs „halluziniert“ und manches frei erfunden, sagt Nadzeika. „Large Language Models sind Wahrscheinlichkeitsmodelle – wenn sie bestimmte Daten nicht finden, können sie schon mal falsche Fakten berechnen.“

Welche KI-Anwendungsfelder bieten sich für Hamburgs Unternehmen? Die Handelskammer hat für den betrieblichen Einsatz von Sprachmodellen wie ChatGPT eine Übersicht zusammengestellt. Auch das Mittelstand-Digital Zentrum Hamburg berät.

Also muss der Mensch gegensteuern und die KI händisch nachtrainieren. Das Start-up-Team speist gezielt Quellen ein, prüft die Ergebnisse und verfeinert den Output mit einem Mix aus Prompt Engineering und Finetuning. Inzwischen sind die Ergebnisse bei OneGuide in der Regel fehlerfrei. Aber auch nach mehr als einem Jahr wird jeder Audioguide zuerst von Menschen gecheckt.

Das Beispiel des Reiseführer-Start-ups zeigt, dass jeder, der KI mit Verstand nutzt, viel Zeit und Arbeitskraft sparen kann. Doch es macht auch klar: Die Arbeit, die Menschen verrichten, wird anders werden. „Der menschlicher Aufgabenbereich verlagert sich zu einer Kontrollfunktion“, so Heinrich Graener.

Potenzial hat KI also insbesondere bei der Analyse großer Datenmengen, etwa in der KI-gestützten Bildanalyse. „KI erkennt auf Röntgenbildern bestimmte Tumore besser als ausgebildete Radiologen“, erläutert Chris Biemann. Allerdings benötige sie dafür Millionen Bilder zum Training, während beim Menschen Hunderte Bilder und Erfahrung reichen, um gute Ergebnisse zu erzielen.

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Chris Esfandiari/UHH
Prof. Chris Biemann forscht am Fachbereich Informatik der Universität Hamburg zu generativer KI.

Zurück zum Denken und zur Kreativität. „Natürlich kann KI in gewissem Sinne Neues schaffen, indem vorhandene Konzepte und Muster rekombiniert werden“, sagt Sprachentechnologie-Forscher Biemann. „Das ist bei Menschen genauso.“ Mit Kunst und Kreativität dringe KI in Bereiche vor, die bislang den Menschen vorbehalten waren. Hier würde sie einen guten Durchschnitt erreichen, aber meist keine Meisterwerke hervorbringen.

Kreativität erfordere wohl eine schöpferische Absicht oder eine schöpferisch handelnde Person, knüpft Philosoph Thomas Krödel an. Diese Person müsse ein Bewusstsein haben, daher wäre Denken eine notwendige Bedingung für Kreativität. Mit Blick auf die Diskussion um den KI-Bildgenerator „Midjourney“ relativiert Krödel allerdings: „Hier haben wir es mit so etwas wie gedankenloser Kreativität zu tun.“

Hilft KI den Patienten? Ist digitale Transformation nachhaltig? Können Fachkräfte und KI zusammenarbeiten? Und was macht eine erfolgreiche Gründungspersönlichkeit aus? Anlässlich der zweiten Hamburger Zukunfts-Konferenz befasst sich HW Online in den kommenden Wochen im Rahmen einer Serie mit diesen und weiteren Fragen.

Wiebke Nadzeika von OneGuide sieht in ihrem Geschäftsfeld menschliche Bereiche, in die KI bislang nicht vorgedrungen ist: „Die tiefere kreative Reflexion und das gezielte, emotionale und kulturelle Storytelling bleiben weiterhin eine menschliche Domäne.“ Das, was ihren Audioguide ausmacht – die Erzählweise mit Spannungsbogen und Cliffhanger etwa – stammt von ihr und ihrem Team.

Deutlich wird in diesen Gedanken, dass sich eine Grenze zwischen menschlicher und künstlicher Intelligenz ziehen lässt. Insbesondere die Unterschiede zwischen Mensch und KI beim logischen Schließen und der moralischen Urteilskraft sind erwähnenswert. Daher sollten sich Unternehmen trotz aller Potenziale, die KI bietet, stets der Grenzen und Herausforderungen bewusst sein. Auch wenn KI schnell und zufällig große Volumina von originären Neuheiten erzeugt, könne sie nicht den Wert dieser Kreationen beurteilen, betont Chris Biemann. Dies scheint (noch) dem Menschen vorbehalten zu sein.


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