HW-Tandem-Serie, Teil 2: Ein Arbeitsmodell für die Zukunft?

Der zweite Teil der HW-Serie über Führungstandems erklärt unter anderem, wie Jobsharing – das bei manchen Firmen schon die „neue Normalität“ ist – zu größerer Geschlechtergerechtigkeit und Resilienz beitragen kann. Um dies zu erreichen, können Coaching und interne Kulturarbeit hilfreich sein. 
Henriette Pogoda, Markus Tollhopf, Laura Hoffmann
Rebecca Goßmann und Anne-Katrin Löffler (Beiersdorf, li.), Torsten Kuß (Arikon Baugesellschaft Hamburg, oben re. ), Svenja Christen (the jobsharing hub, unten re.)

Von Birgit Reuther, 10. Mai 2023

„Als Unternehmen fragen wir uns natürlich: Wie zukunftsfähig sind wir?‟, sagt Christina Braase, Expertin für Jobsharing und Diversity bei Beiersdorf. Gerade im Wettbewerb um Fachkräfte seien jene Firmen immens im Vorteil, die bereits Optionen für geteilte Führung anbieten. Denn dass zwei Personen gemeinsam eine Stelle füllen, helfe unter anderem dabei, Geschlechtergerechtigkeit zu erreichen: „Beiersdorf hat sich zum Ziel gesetzt, weltweit bis 2025 alle Führungspositionen unterhalb des Vorstands paritätisch zu besetzen. Da ist Jobsharing ein super Tool!‟ Dieses Arbeitsmodell habe sich enorm weiterentwickelt – aus der Frauen- und Mütterförderung als Nische der Personalarbeit mitten hinein in das viel diskutierte Feld von New Work.

Seit 2010 hat Beiersdorf zunehmend Tandems aus den Fachbereichen heraus gebildet, bis das Thema 2015 offiziell strategisch vorangetrieben wurde. Seit 2018 soll zudem der überwiegende Teil aller freien Stellen bereits in der Ausschreibung als „jobsharing-fähig‟ gekennzeichnet werden. „Wichtig ist, den Prozess mit all seinen Erfolgen und Herausforderungen transparent zu gestalten‟, erklärt Christina Braase, die als sogenannte Matchmakerin die Bildung von Tandems im Betrieb unterstützt und derzeit 42 Jobsharing-Paare am Standort Hamburg betreut.

Um als Unternehmen zu signalisieren, dass solch ein Konzept gewollt ist, sei eine Ansprechpartnerin wie Christina Braase enorm hilfreich, erklärt Anne-Katrin Löffler. Ihre Position als Head of Wellbeing bei Beiersdorf teilt sie sich im Tandem. Wie flexibel das Prinzip funktioniert, zeigt sich in Löfflers aktueller Situation: Ihre Berufspartnerin Rebecca Goßmann befindet sich derzeit für drei Monate im Sabbatical. „Die Übergabe war sehr unkompliziert, da wir beide voll im Thema sind.‟ Bis ihre Kollegin zurück ist, hat sie ihre Stelle von 60 auf 80 Prozent erhöht.

Dass ihr Postfach derzeit nach freien Tagen etwas voller ist, daran muss sich Anne-Katrin Löffler erst wieder gewöhnen: „Im Tandem sind wir nicht parallel im Urlaub, sodass sich vor und nach den Ferien selten Workload anstaut.‟ Für sie ist das Jobsharing gelebtes Wellbeing. Das heißt: Die Tandem-Partnerinnen wachsen miteinander, passen aufeinander auf und helfen sich gegenseitig. Denn erst wenn sich die Mitarbeitenden wohlfühlen, so Löffler, könnten sie auch „ihre Power auf die Straße bringen.‟ Allerdings, so betont Christina Braase: „Neben der Koordination der Aufgaben sollte auch die Chemie stimmen.‟

Unterstützung durch externes Coaching

Um diese komplexen Abläufe einzuüben und gleich zum Start abzustimmen, bietet Beiersdorf neuen Tandems an, sich in den ersten 100 Tagen von externen Kooperationspartner coachen zu lassen. Zum Beispiel von der Firma „the jobsharing hub“. Rund 40 Unternehmen wie Roche, Audi, Die Deutsche Bahn, Allianz und Flixbus haben Svenja Christen und Yannic Franken mit ihrer Beratungsagentur bereits auf dem Weg in die effiziente Arbeitsteilung begleitet. Unter anderem haben sie einen sogenannten Tandembility-Test entwickelt, der die Eignung für die Arbeit im Jobsharing misst. Zudem befindet sich seit einigen Wochen ihr zweites Start-up in der Beta-Phase: Pair To Share, eine vollautomatisierte Lösung für Recruiting, Matching und Stellenbesetzung von Tandems.

„Das Angebot von Jobsharing wird zum Wettbewerbsvorteil von Unternehmen‟, erklärt Svenja Christen. Jedoch nutze das schönste Matching-Tool nichts ohne interne Kulturarbeit im Unternehmen. „Wenn die Personalverantwortlichen mit verschränkten Armen dasitzen und Angestellte in Vollzeit vorziehen, ist das eine Sackgasse‟, sagt die Expertin. Eine ehrliche Kommunikation sei essenziell, vor allem „von oben‟. Und dazu gehöre besonders, in Sachen Tandem alle sozialen Gruppen in der Firma anzusprechen und als HR-Abteilung zum Beispiel proaktiv auf Männer zuzugehen mit der Frage: „Wenn es keine Defizite für dich hätte, wärst du bereit zum Jobsharing?‟

Der Bedarf ist da, ist Svenja Christen überzeugt. Und die Vorteile sind ihrer Ansicht nach vielfältig: Geteiltes Wissen und wechselseitiges Sparring erhöhen die Kompetenz auf einer Position. Das Onboarding lasse sich schneller praktizieren, wenn neue Fachkräfte ins Tandem mit erfahreneren Mitarbeitenden gehen. Und zudem könnten langfristig eher einzelkämpferisch angelegte Führungsstrukturen aufgelöst werden, da sich arbeitsintensive Stellen mit hoher Verantwortung dann eben auch in Teilzeit praktizieren lassen. „Gerade in der Corona-Zeit hat sich gezeigt, dass Tandems extrem robust und wesentlich resilienter sind. Mit diesem Modell lässt sich also auch die Stabilität in der Führung erhöhen.‟ Allerdings betont Christen auch, dass die Prozesse im Tandem erlernt und immer wieder evaluiert werden müssen, damit wirkliche Synergien entstehen und die Teams nicht einfach im Split nebeneinander her arbeiten.

Wissenstransfer per Senior-Junior-Tandem

Auf der Suche nach den positiven Effekten eines Tandems ist Torsten Kuß, Geschäftsführer der ARIKON Baugesellschaft Hamburg, bereits seit Jahren. Unterstützung und Austausch suchte er deshalb unter anderem beim Tandem-Roundtable der Handelskammer Hamburg. Seiner Erfahrung nach ist etwa die Kommunikationsbranche bereits offener für das Thema als ein traditionelleres Geschäft wie der Bau. Obwohl sein Unternehmen mit Spezialisierung auf nachhaltiges Bauen und energetische Sanierung äußerst zukunftsweisend agiert.

Dem Geschäftsführer erscheinen vor allem bisher weniger praktizierte Senior-Junior-Tandems attraktiv, um den Wissenstransfer unter den Generationen jenseits bloßer Übergabegespräche zu gewährleisten. „Man muss im Berufsleben seine eigenen Fehler machen. Aber gewisse Frustrationen können durch gegenseitigen Support aufgefangen werden‟, sagt Torsten Kuß.

Gerade für die viel zitierte Generation Z, also für die zwischen 1995 und 2010 Geborenen, die nun nach und nach auf den Arbeitsmarkt kommen, könnte eine Job-Partnerschaft einen Anreiz bieten, sich zu bewerben. „Mit dem Tandem ließen sich Arbeitsspitzen zum Beispiel familienkompatibler anpassen.‟ Also: weniger Arbeitsstunden und hohe Flexibilität befördern die Work-Life-Balance. Und zugleich bietet das Tandem einen guten Rückhalt und hohe Eigenpartizipation im Beruf.

Um neue Fachkräfte mit Hilfe des Tandem-Modells zu akquirieren, ist Torsten Kuß bereit zu investieren. „Viele fragen sich doch: Kann ich von einem Teilzeitgehalt leben?‟ Er würde das Budget für eine Tandem-Stelle auf 135 bis 150 Prozent anheben. Denn er baut auf den Mehrwert und ist sich sicher: Zwei qualifizierte Personen auf einer Stelle, das ergibt wesentlich mehr als 100 Prozent.

Hier wird weiterdiskutiert

„Mit Jobsharing-Tandems vorhandene Potenziale heben“ ist das Thema eines der Foren beim „Tag des Mittelstands“, zu dem die Handelskammer, die Handwerkskammer, der Verband Freier Berufe Hamburg (VFB) und die Stadt Hamburg am Donnerstag, 8. Juni, in die Handelskammer einladen. Moderiert wird das Forum von Michaela Beck und Anna Heidenreich, die in der Handelskammer selbst im Tandem führen – die HW berichtete: „Doppelt führt besser“. Die kostenlose Anmeldung zur Veranstaltung ist hier möglich.

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